Zu Gast bei Salomon’s Kindern …


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Die große Schiffsglocke schlägt zweimal, als wir uns mit dem alten Dreimaster im Dingi nähern. Und mit einem Mal füllt sich das Deck. Aus allen Luken und Türen erscheinen junge Männer, stellen sich nebeneinander in einer Reihe auf, direkt neben der Boarding-Leiter. Militärisch spreizen sie die Beine und verschränken die Arme hinter ihrem Rücken. Bereit zum Appell. Wir merken sofort, dass wir auf einem anderen Schiff sind, als unserer „Maverick“. Diszipliniert stehen sie dort und warten, bis wir an Bord sind. Zehn Jungs im Alter zwischen 14 et 18 Ans, die hier an Bord der „Salomon“ leben.

Das Schiff segelt unter Schweizer Flagge und ist eine schwimmende Auffang- und Übergangseinrichtung für Jungs, die mit dem Leben an Land nicht klar gekommen sind und in vielen Fällen eine lange Polizeiakte vorzuweisen haben. Drogen, Diebstahl und allerlei ähnliches. Sie sind zu jung fürs Gefängnis, deshalb bekommen sie auf See eine zweite Chance, ihr Leben auf die Reihe zu bekommen. „Ich glaube fest an die Charakterbildung auf See“, erklärt uns Skipper Jan später. Vor zwei Tagen hatte er bei uns an der Reling gestanden und uns an Bord des Toppsegelschoners eingeladen. Eine Einladung, bei der wir nicht lange überlegen mussten – denn seit ich vor einigen Tagen aus Deutschland zurückgekehrt bin, war mir das große, alte Segelschiff im Vorhafen von Horta aufgefallen. Ich konnte den Namen aus der Ferne zwar nicht erkennen, aber dafür die Schweizer Flagge und war mir sicher, dass es die „Salomon“ ist. Seit ich zum ersten Mal vor mehr als zehn Jahren von dem Projekt erfahren habe, bin ich begeistert davon. Und ich konnte es kaum erwarten, mir das Schiff und seine Crew von Nahem zu erleben.


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Mit Traditionsschiffen verbindet mich ohnehin eine Menge. Als ich selbst zwischen 15 et 17 Jahre alt war, habe ich einige Male als Deckshand auf solchen Dreimastern anheuern dürfen, bin mit 17 Jahren sogar einmal von Teneriffa nach Lissabon mitgesegelt und habe das erste Mal Atlantikluft schnuppern dürften. Danach konnte ich mir gar nicht mehr vorstellen, wieder zurück zur Yachtsegelei zu wechseln und hätte um ein Haar eine Karriere auf solch einem Traditionsschiff eingeschlagen … Klar, dass da für mich alte Erinnerungen wach werden. Das Segeln auf solch einem 47 Meter langem Traditionsschiff ist ein ganz anderes, als auf einer Yacht. „Alles ist ehrlicher, direkter“, erklärt uns Skipper Jan, und fasst genau mein Empfinden von damals in Worte. Elektrische Winden gibt es nicht, um die insgesamt 700 Quadratmetern Segelfläche zu setzen. Alles geschieht von Hand, wie zu den Zeiten der alten Windjammer. Die Fallen laufen aus dem Rigg auf Belegnägel. Zwei Jungs fallen in das Fall ein, zwei andere holen die Lose durch. So werden die schweren Gaffeln in die Höhe bewegt. Knochenarbeit.

Die „Salomon“ wurde 1910 in Elsfleth als Heringslogger gebaut und hat ein sehr bewegtes Leben hinter sich. Im Zweiten Weltkrieg bekam sie ihre Masten und wurde um sieben Meter verlängert. Der Rumpf ist genietet und wird heute von einer 500 PS starken MAN-Maschine angetrieben. Da das Schiff völlig Autark sein muss und selten an der Pier eines Hafens liegt, ist es mit zwei großen Dieselgeneratoren und einem Watermaker ausgestattet. Ansonsten ist die Ausstattung jedoch eher spärlich. Die einzige elektrische Winde ist die Ankerwinsch. Und das ist auch nötig, denn jedes Kettenglied wiegt 800 Gramm.

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„Ist das hier der Autopilot?“ frage ich mit dem Blick auf die vielen altmodischen Knöpfe und Schalter im Steuerhaus. „Haha, wir haben keinen“, antwortet einer der Jungs, der sich freiwillig gemeldet hat, uns im Schiff herumzuführen, „wir müssen selbst steuern.“ Und zwar nicht im Steuerhaus, sondern an Deck, bei Wind und Wetter. Weil der Blick nach vorn durch die hohen Aufbauten schlecht ist, sitzen zwei weitere Jungs während der Wache auf dem Vorschiff und halten Ausschau. Kommuniziert wird per Glockenschläge. Drei Stunden dauern die Wachen. Wer zwischendurch einschläft, bekommt Verlängerung.

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„Damals zu den Zeiten der Frachtsegelei rund Kap Hoorn waren es genau solche Jungs in diesem Alter, die auf solchen Schiffen angeheuert haben“, erklärt uns Jan. „Getrieben von Abenteuerlust und gezogen vom Ruf der Ferne. Oder auch nur, weil sie es zuhause nicht ausgehalten haben.“ Von daher ist das Schiff genau der richtige Ort für die Jungs. Mindestens 40 Wochen müssen sie an Bord sein. Viele bleiben länger. Doch auch nach der Zeit an Bord werden sie von der Stiftung Jugendschiffe betreut, bekommen Lehrstellen vermittelt und Hilfestellung auf dem Weg ins eigenständige Leben. Denn die Rückkehr aus der Isolation des Schiffes in den Alltag ist hart. Doch die Erfolgsquote ist hoch.

Auch deshalb, weil den Jungs an Bord neben Disziplin auch Selbstverantwortung beigebracht wird. Jede Woche gibt es einen Wochenrückblick, in dem die Jungs bewertet werden. Dabei werden sie mit Schulnoten nach drei Kompetenzen bewertet.

Sozialkompetenzen: Selbstverantwortung (Vorbildfunktion, Ehrlichkeit, Verweigerung, Partizipation), Verhalten in der Gruppe (Beziehungs- und Konfliktfähigkeit, Hilfsbereitschaft, Kritikfähigkeit), Verhalten gegenüber Erwachsenen und Landgänge/Exkursionen/Sport (Verhalten, Respekt vor einheimischer Kultur und Bevölkerung, Motivation).

Fachkompetenzen: Schule (Lernbereitschaft, Eigenverantwortung), Nautik (Einsatz, Lernbereitschaft, Können, Wissen), Arbeitstraining (Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen, Umganz mit Werkzeug) und Haushalt. Außerdem Selbstkompetenzen: Selbstständigkeit (Freizeitverhalten, Umgang mit Geld, Vorbereitung Nachschiffszeit).

Allgemeine Selbstkompetenzen (Pünktlichkeit, Essverhalten), Umgang mit Material und Kleidern.

Viele dieser Dinge sind auch in der Schiffsordnung geregelt, die Cati und ich überlegen, bei uns an Bord genauso zu übernehmen 😉 Um die Jugendlichen in Sachen sozialem Verhalten auf Kurs zu bringen, sind neben dem Captain und Maschinisten auch zwei Sozialpädagogen und normalerweise zwei Lehrer an Bord.

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Als Belohnung für gute Noten gibt es Freiheiten: Côte, Fernsehabend, jeden Freitag eine kleine Grillparty und mehr. Wer sich nicht an die Regeln hält, dem werden die Freiheiten genommen.

„Wenn die Kinder an Bord kommen, haben viele zunächst Probleme sich ins Bordleben einzufügen“, erklärt Jan, „denn sie kommen ja aus ganz anderen Verhältnissen.“ Doch das Leben an Bord verändert einen jeden von ihnen. „Neulich kam einer zu mir und war ganz sorgenvoll, wollte einen Arzt sehen. Ihm war aufgefallen, dass er seit seiner Ankunft an Bord Unmengen von Essen verschlingt und trotzdem nicht dick wird. Er wollte gar nicht glauben, als ich ihm sagte, dass es völlig normal ist. Du arbeitest hart, brauchst mehr zu Essen, das in Muskeln umgesetzt wird.“ Neben dem Segelsetzen und den häuslichen Arbeiten an Bord (bei denen jeder seine Aufgabe übernimmt), gibt es regelmäßig ein forderndes Programm von Exkursionen und sportlichen Aktivitäten. Erst vor ein paar Tagen sind die Jungs sechs Stunden lang auf die Spitze des Pico (2351 Meter Höhe!) hinaufgekraxelt. Wenn das Schiff in wärmeren Gewässern liegt, müssen sie jeden Vormittag zehn Runden ums Schiff schwimmen.

Damit sich sich an Bord zurechtfinden, sich sicher bewegen und mithelfen können, müssen die Jugendlichen an Bord zunächst die Schiffsjungen-Prüfung ablegen, um am Bordalltag teilhaben zu können. Weitere Prüfungen zur Seemannschaft und Nautik sind freiwillig. Engagement wird gefördert. Vor allem in der Instandhaltung des Schoners, denn auf einem 105 Jahre alten Stahlschiff wie der „Salomon“ ist natürlich immer eine Menge Rost zu klopfen, das salzige Wasser des Atlantiks greift das Metall enorm an. Das merken wir ja schon auf unserer kleinen „Maverick“, auf der selbst das Edelstahl rostet. Die letzte Werftzeit liegt noch nicht allzu lang zurück, doch es gibt immer viel zu tun. Deshalb ist der Verein auch sehr auf Spenden angewiesen, um sein Projekt weiterzuführen.

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Cati und ich sind von dem Projekt vollkommen begeistert und könnten uns vorstellen, sofort dort mitzufahren. „Warum gibt es soetwas in Deutschland nicht?", fragen wir uns. Dabei ist Deutschland doch viel näher am Wasser als die Schweiz. Regelmäßig sind aber auch einige deutsche Jugendliche an Bord.

Unser Rundgang an Bord nähert sich dem Ende und wir kommen zurück zu der großen freien Fläche Mittschiffs zwischen den Aufbauten, auf der Bänke und Tische stehen. Der Grill ist bereits angefeuert und wir sind zum Barbecue eingeladen. Unmengen von Fleisch werden aufgefahren, die Jungs sind hungrig. Wie immer. Eine gewaltige Schüssel (ein Viertel Kubikmeter?) Kartoffelsalat steht bereit, dazu drei weitere Salate. Die Jungs übernehmen das Grillen selbst. Die Glocke läutet einmal. „Das bedeutet Essen fassen“, erklärt Jan, und ergänzt: „Zweimal bedeutet ‚An Deck kommen‘, dreimal … ’Lenzkette’…“

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Das Essen ist gut und wir genießen es, für ein paar Stunden an diesem anderen Leben teilzunehmen, das die Jungs hier führen. Kaum sind die Schüsseln geleert, geht jeder auf seinen Posten. Abräumen, Schüsseln spülen, Tische abwischen. Und mit einem Male wird es ruhig an Bord. „Es ist Freitag, Fernsehabend“, erklärt Jan. Der Beamer strahlt einen Film an die Wand des Schulraumes und das Deck ist leer. Deshalb bleibt uns gar keine Gelegenheit mehr, uns bei den Jungs zu verabschieden. Wir steigen um uns Dingi und werden zurück zur „Maverick“ gefahren.

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Doch nicht nur abgesetzt – jetzt ist die Gegenbesichtigung dran. Die Crewmitglieder Joni und Andy wollen nun unser kleines Schiff von innen sehen. „Ich bin schon viel gesegelt, aber noch nie auf so einem kleinen Boot gewesen“, sagt Joni staunend. Effacer, dass für die beiden bei der Besichtigung genauso zwei Welten aufeinanderprallen, wie Stunden vorher für uns. Das gleiche Mittel der Fortbewegung, aber doch ganz anders.

Nun bereiten wir uns auf die Weiterfahrt vor, morgen wollen wir hinüber nach Ponta Delgada. Aber die „Salomon“ haben wir bei Marinetraffic in den Kreis unserer beobachteten Schiffe hinzugefügt. Voyons, wann wir uns wieder über den Weg segeln. Wir werden sie und ihre Crew ganz sicher im Auge behalten. Ihr könnt das auch, auf der Website www.jugendschiffe.com – und wenn ihr das Projekt genauso beeindruckend findet wie wir, unterstützt den Verein. Es ist wirklich das beeindruckendste Projekt, das wir je gesehen haben.

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