Schlick happens

Liebe Leser,

einen kleinen navigatorischen Fauxpas möchte ich euch nicht vorenthalten – passiert am 25. Oktober, dem Freitag vor Beginn der Hanseboot:

Ich wollte eigentlich nur kurz „Maverick too“ einhand ins Winterlager nach Neuhaus an der Oste überführen … doch diese 7,7 Seemeilen sollten die längsten meines Lebens werden. Ich brauchte dafür 26 Stunden.

Dabei fing alles so gut an. Mit einem dampfenden Kaffee in der Hand schlendere ich morgens über den Deich zum Boot und fange an, daraus einen Bausatz zu machen. Segel runter, Baum ab, Windgeneratormast ab, Rettungsinsel runter, alle Polster von Bord, … Kurz nach neun werfe ich schließlich die Leinen los. Immer noch mit einem dampfenden Kaffee in der Hand. Inzwischen dem dritten.

Ich hab mich an der Klappbrücke Oberndorf, die inzwischen in Winterbetrieb ist, rechtzeitig angemeldet. Freundlich winkt mir der Brückenmeister zu, als ich bei leichtem Gegenstrom sein Häuschen passiere. Doch nanu, warum klingt denn der Motor so komisch? Und warum ist ER DENN SO HEISS???  90 Grad. Noch keine Katastrophe, ruhig bleiben. Einmal das Seeventil für den Kühlwassereinlass auf und zu – und schon sprotzt der Motor wieder mehr Wasser als vorher, die Temperatur geht schlagartig runter. „Da muss wohl Schlick im Ventil gewesen sein“, sage ich zu mir selbst. Ohne weiter darüber nachzudenken, wo denn der Schlick inzwischen hin gerutscht sein könnte … bei einem Motor mit Einkreiskühlung.

Eine halbe Stunde geht alles gut. Dann geht der Motor aus. „Was soll denn das jetzt?“ Über 1.000 Seemeilen waren wir im vergangenen Sommer unterwegs und nie hat der Motor Probleme gemacht. Schnell den Anker ins Wasser, genügend Kette und auf Tauchstation im Maschinenraum. „Wenn zu wenig Kühlwasser und ein von selbst aus gehender Motor etwas gemein haben, habe ich ein Problem.“ Die weitaus einfachere Antwort, wenn auch die peinlichere, finde ich nach dem Überprüfen des Dieselstands im Tank. Noch drei Zentimeter am Zollstock („Maverick“ hat keine digitale Anzeige …). Das reicht wohl nicht. Also kein Diesel mehr. Sowas ist mir in den vergangenen 14 Jahren unter Segeln noch nie (mit einem Dieselmotor) passiert.

Ein Anruf alarmiert meine Freunde Nico und Birte, die nur wenige Kilometer entfernt an ihrem Boot arbeiten. Mit dem kleinen 2-PS-Mariner-Außenborder und einer abenteuerlichen, aus Leinen improvisierten Außenborderhalterung am Heck gelingt es mir, das andere Flussufer zu erreichen und einen Kanister mit zehn Liter Diesel zu übernehmen. Schnell die Maschine entlüften – „tonktonktonktonk …“ da läuft er wieder.

Genau 15 Minuten lang. Dann geht die Temperatur wieder hoch. Diesmal muss es der Schlick im Schlauch sein. Ich schalte die Maschine ab und lasse mich treiben. Die Tide ist inzwischen gekentert. Das ablaufende Wasser zieht mich Richtung Neuhaus, dem Winterlager, während ich unter Deck die gesamten Kühlwasserleitungen der Maschine zerlege und spüle. Irgendwann merke ich, dass der Bug im Schilf steckt. „Macht nichts, der Grund ist ja weich“, denke ich und bastele weiter. Keine 15 Minuten später bin ich an Deck und starte die Maschine, die nun ihre Temperatur hält. Doch ich habe bereits verloren. Wir sitzen fest.

Auch mit dem Spibaum gelingt es mir nicht, die sechs Tonnen schwere „Maverick“ vom Schlick zu schieben. Ich muss zusehen, wie sie langsam, aber sicher, trockenfällt.

Elf Stunden lang warte ich an Bord auf die Flut, bei einer Krängung von 47 Grad. Im Minutentakt fliegen die Schapps auf der oberen Seite auf, immer wieder ergießt sich ein Geschossregen. Elf Stunden in einer schiefen Welt. Ich werde ein wenig seekrank, weil sich das Bild, das ich sehe, einfach nicht in meine Welt gehört. Jeder Gang an Deck kostet enorme Kraft und kann nur von Handlauf zu Handlauf hangelnd vonstatten gehen. Wenn ich mich durch die Kajüte bewege, laufe ich auf den Türen der Schrankbauwand an Backbord, denn die kommen einer Waagerechten näher, als der Fußboden.

„Geh doch einfach so lang an Land“ könnte man denken. Geht aber nicht, denn dort, wo „Maverick“ liegt, ist eine Wiese. Drei Meter vor dem Bug ist ein Zaun, dahinter gucken mir die Kühe zu. Auch am Zaun entlang zu laufen wäre beschwerlich, denn das Gras ist sehr hoch. Es gibt also keinen Ausweg. Selbst die anfängliche Freude, dass ich beim Ausräumen des Bootes eine Kiste Bier vergessen habe, vergeht schnell. Ich koche mir einen Grog. Es wird immer kälter. Der Diesel reicht auch nicht, um die Heizung öfter als alle Stunde für ein paar Minuten anzuschalten. An Deck bildet sich Eis.

Endlich, gegen Mitternacht, ist das Wasser wieder zurück. „Maverick“ schwimmt wieder, würde aber aus eigener Kraft nicht mehr frei kommen, denn auch um mich herum ist es enorm flach. Ich habe mir den seichtesten Teil der Oste ausgesucht. Zu meiner Erleichterung kommen meine Nachbarn und Freunde Bert und Marlene mit ihren starken Beiboot zur Hilfe. Wir befestigen etwa 100 Meter Leine am Masttop. Dadurch wird das Schiff soweit gekrängt, dass der Kiel frei kommt und wir in die Freiheit gleiten.

Die Nacht verbringt „Maverick“ am Steg des Segelvereins Geversdorf, bevor wir am nächsten Morgen die letzten zwei Meilen zum Winterlager in der Yachtwerft Neuhaus zurücklegen. Bert und Marlene begleiten mich, falls der Motor wieder Probleme macht. Doch er hält durch. Keine Stunde nach der Ankunft in der Werft steht „Maverick“ abermals hoch und trocken. Diesmal aber gewollt. Dort in der Halle wird sie nun das Winterlager verbringen … und einen kleinen Umbau erleben.

Dieses ungeplante Erlebnis hat gezeigt, dass die Contest die richtige Wahl für unsere Pläne war. Trotz dieses kleinen Missgeschicks und 47 Grad Lage ist nichts kaputt gegangen. Sogar die Türen gingen bei der Krängung noch auf und zu! Nichts hat sich verzogen. Sie ist ein richtig stabiles Schiff. Eines für entlegene Orte. Und da wollen wir hin 🙂

Johannes