Der Atlantik aus Catis Sicht

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Da sind wir also über den Atlantik gesegelt. Bei unserer Abfahrt in Oberndorf war es für mich unvorstellbar, das Leben an Bord noch zu neu und ungewohnt, der Atlantik so furchtbar weit weg. Mit der Seekrankheit auf der Nordsee kam gleichzeitig die Frage: „Wie soll ich das nur aushalten?“ Immer wieder habe ich mir vor Augen gehalten, wie viele Leute über den Atlantik segeln. Auch mit Seekrankheit. Also eigentlich nichts besonderes. Wenn die das schaffen, schaffe ich das ja wohl auch. In Zeiten, wo Teenagermädchen alleine nonstop um die Welt segeln, werde ich doch wohl so einen läppischen Atlantik überqueren können, zumal mit jemandem an der Seite, dem ich blind vertrauen kann. „Nimm dich mal nicht so wichtig, Cati“, habe ich mir gesagt und mir heimlich doch Sorgen gemacht.

An unserem Starttag von Madeira herrschte dann aber nur ein Gefühl vor: Vorfreude! Unsere bis dahin längste Überfahrt nach Madeira ist für mich so ein unfassbar schönes Erlebnis gewesen, dass ich gespannt und neugierig auf die vor uns liegende Zeit war. Sicher, vier Tage und vier Wochen, das ist schon ein Unterschied. Aber ich wollte es wissen: Gewöhne ich mich an das Schaukeln? Bekomme ich Routine und so etwas wie Alltag? Kann ich mein Seekrankheitsmedikament schnell absetzen? Wird mich das Wetter und die Welle auf dem Atlantik erschrecken, wenn ich weiß, dass das nächste Land Tage entfernt ist?

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Das Schaukeln: Nervig, eeecht nervig! Ich kann nicht zählen, wie oft wir deswegen gereizt waren oder geschimpft haben, dass schon wieder das Geschirrschapp komplett ausgekippt wurde, nur weil ich kurz ein Messer holen wollte. Dem Schaukeln ist auch unser einziger Bruch auf der Überquerung zu verdanken: In einer Welle bin ich gegen die geschlossene Klotür gefallen und habe dabei die Verriegelung aus dem Holz gerissen. Andererseits aber angenehm, echt angenehm – denn jede Nacht habe ich mich in meiner Koje wie in einer großen blauen Wiege gefühlt. Meinen Beinmuskeln wird es auch nicht geschadet haben.

Routine und Alltag sind erstaunlich schnell eingekehrt. Ich mochte alles besonders gern, was dem Tag Struktur gegeben hat. Wachwechsel, Positionsbestimmung am Mittag, gemeinsames Abendessen. Ungefähr am dritten Tag habe ich mich dabei erwischt aus dem Küchenfenster zu schauen und überrascht zu sein, dass da ja nichts als blau ist. Ich habe geliebt, dass ich so viel Zeit zum Lesen hatte, denn ich lese überaus gerne. „Duschtage“ waren besondere Tage. Und irgendwann habe ich mir sogar mal die Fußnägel lackiert, so sehr war diese Atlantiküberquerung mein Alltag geworden. Und trotzdem, selbst die Umgebung war fast jeden Tag neu. Zu Anfang haben wir wahnsinnig viele Portugiesische Galeeren gesehen, später dann riesige Seegrasteppiche. Auch die Wasserfarbe hat sich verändert. Der Atlantik war immer tiefblau, aber wenn sich die Wellen gebrochen haben, wurde es immer türkiser, je weiter wir nach Westen kamen. Und wenn ich jetzt die Fotos von den Flautentagen sehe, kann ich kaum glauben, dass der Atlantik so platt wie ein See war, denn am Schluss sah er ganz anders aus. Ich hatte wirklich den Eindruck, dass wir vorwärts kommen, weil sich die Landschaft und natürlich die Temperaturen so stark verändert haben.

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Die Seekrankheit: Am zweiten Tag konnte ich das Medikament bereits reduzieren, nach dem dritten Tag habe ich es abgesetzt. Besser geht es nicht. Mir wurde selten mal flau, wenn der Wind gedreht hatte und die Wellen aus der anderen Richtung kamen, aber nie schlimm. Ab da hab ich mich eher gefragt, ob ich nach der Überfahrt wohl genauso landkrank werde, wie ich anfangs immer seekrank geworden bin … ?

Wind und Wellen haben mich nicht mehr wirklich erschreckt oder geängstigt. Trotzdem gab es Situationen, die ich als beunruhigend empfunden habe. Insbesondere nachts, wenn sowieso alles viel intensiver wahrgenommen wird. Das hing vor allem damit zusammen, dass ich diejenige war, die in den allermeisten Fällen unten gewartet hat, bis Johannes draußen mit dem Manöver fertig war. Kopfkino. Musste ich mithelfen, blieb gar keine Zeit dafür sich zu sorgen. Ich habe sowieso das Gefühl gehabt, dass es irgendwie keinen Unterschied macht, ob die Welle nun zwei oder fünf Meter hoch ist, runter müssen wir da eh. Es hat mich eher fasziniert, wenn sich hinter uns eine Wellenwand aufgebaut hat, die „Maverick“ spielend runtergesaust ist. Was mir in diesem Zusammenhang allerdings Gedanken bereitet hat, war der Kraftaufwand, der für die Wetterverhältnisse erforderlich war. Ich habe in so vielen Segelbüchern gelesen, dass während der Atlantiküberquerung nicht einmal die Segelstellung geändert werden musste, sobald man den Passat erreicht hatte, Johannes war aber gerade zum Ende im Stundentakt damit beschäftigt. Ich habe mir oft gewünscht, dass ich ihm mehr abnehmen könnte und ihn vor allem nachts nicht immer wecken muss, wenn es mal wieder was zu tun gab. Dazu fehlte mir aber oft nicht nur die Kraft, sondern auch die Erfahrung und das Know-how. Deshalb waren es immer Festtage, wenn ich Sachen mal alleine hinbekommen habe. Gut für das Selbstbewusstsein. Dennoch, Wind und Wellen waren für Johannes sicherlich ein größeres Thema, weil sie ihm um ein Vielfaches mehr an Kraft, Schlaf und Entspannung abverlangt haben als mir.

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Als abzusehen war, dass wir am nächsten Tag ankommen, hat mich das sehr traurig gestimmt. Ich habe mich natürlich auf das Ankommen und die Karibik gefreut, aber es hat sich angefühlt, als gehe jetzt ein Lebensabschnitt zu Ende. Es war eine Zeit, in der ich viele Stunden zum Nachdenken hatte, in der Johannes und ich über Sachen reden konnten, die sonst nicht so wichtig waren. Eine Zeit in der wir wirklich nur uns hatten und uns dabei sogar noch frühere Erlebnisse eingefallen sind, die der andere noch nicht kannte – obwohl wir doch ansonsten schon alle Geschichten kennen. Wir waren uns nah und hatten trotzdem jeder Zeit für sich. Ich habe gelesen, gegessen, geschlafen, gebetet.

Jetzt sind wir schon drei Tage an Land und ich merke, dass die Atlantiküberquerung langsam in den Hinterkopf gerät, so viele Sachen sind hier zu erleben, so viele spannende Menschen kennenzulernen. Trotzdem werde ich das Erlebnis sicher nicht so schnell vergessen und ich bin so dankbar, dass Johannes mich mit über den Atlantik genommen hat.

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