„Sie haben Ihr Ziel erreicht!“


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„Sie haben Ihr Ziel erreicht!“ … zumindest vorerst.

Gestern morgen sind wir in Lamb’s Marina in Camden im Bundesstaat North Carolina angekommen. Hier wollen wir nun ein paar Wochen bleiben. Auf den Bahamas haben wir von diesem Yachthafen, ihren fantastisch günstigen Preisen und unglaublich netten Menschen gehört und entschieden, dass sie unser nördlichster Wendepunkt werden soll.

Nach drei Wochen an ein und dem selben Ankerplatz in North Palm Beach überfluten uns die Erlebnisse der letzten vierzehn Tage geradezu. Hier einmal ein paar Schlagworte, um Spannung aufzubauen: Atlantikirrfahrt, Tornado, Kopfdichtung, Heiratsantrag. Habe ich eure Aufmerksamkeit?

Um nach North Carolina zu gelangen, kann man entweder über den Atlantik segeln oder aber den Intracoastal Waterway nutzen, einen Wasserarm, der sich über tausend Meilen parallel zur Ostküste entlang schlängelt. Der Weg über den Atlantik ist wesentlich kürzer, noch dazu schiebt der Golfstrom mit bis zu 3,5 Knoten in die richtige Richtung und wie gesagt, man kann segeln und muss keinen Diesel verheizen. Auf der anderen Seite kann sich das Wetter in der Hurrikansaison sehr plötzlich verändern und mehrere Tage ohne aktuellen Wetterbericht können auf dem Atlantik fatal enden. Aus diesem Grund erschien uns ein Kompromiss sinnvoll: Einen Großteil auf dem Atlantik segeln und die letzten Meilen in Tagesetappen auf dem Intracoastal abarbeiten.

Mittlerweile wurde uns schon zu Genüge attestiert, wie unverantwortlich wir sind, schlecht vorbereitet und überhaupt viel zu naiv. Vor allem in Internet-Foren. Um diesen Eindruck nicht zu widerlegen, haben wir zwar einen aktuellen Wetterbericht eingeholt, bevor wir auf den Atlantik raus sind, uns aber nicht über die genaue Lage des Golfstroms informiert, die sich ja immer wieder ändert und über von der amerikanischen Behörde NOAA hier berichtet wird. Aber wir dachten uns: Mal ehrlich, wie schwer kann es schon sein einen derart großen Fluss zu finden?! „Hier musst du erstmal 15 Meilen rausfahren, bevor es mit dem Golfstrom losgeht“, hatte man uns gesagt. „Klingt einfach“, denken wir uns, setzen den ersten Wegpunkt im Naviprogramm 15 Meilen vor der Küste und fahren beim Fort Pierce Inlet raus auf den Atlantik. „Bei Jacksonville liegt der Golfstrom schon 60 Meilen vor der Küste“, sagte man uns auch. Der zweite Wegpunkt.

Pünktlich am ersten Wegpunkt nimmt „Maverick“ ordentlich Fahrt auf. Das war uns sehr recht, denn abgesehen von einer Gewitterfront war es bis dahin sehr flau gewesen und wir hatten weniger Meilen geschafft als angenommen. Nachts werden wir langsamer. Ganz klar, wir sind wieder aus dem Golfstrom raus. In der Annahme, dass wir ihn einmal überquert haben und uns nun rechts von ihm befinden, legen wir den Kurs etwas nördlicher um uns so langsam wieder anzunähern. Nach sechs Stunden, inzwischen wieder hell, sind wir eher noch langsamer. Sechs Stunden hat es also gedauert, bis wir merken, dass wir uns nicht rechts, sondern links vom Golfstrom befinden und seit der Kursänderung immer weiter weg gefahren sind. Und es dauert fast einen ganzen Tag ihn wiederzufinden, denn der Golfstrom verläuft nicht parallel zur Küste, sondern macht einen Bogen. Außerdem hat er Eddies, Wasserwirbel, die genau in die entgegengesetzte Richtung treiben. Gegenströmung. Die finden wir, als wir den Golfstrom aus Versehen tatsächlich überquert haben und uns von rechts wieder reinarbeiten müssen. Mittlerweile sind wir vier Tage auf See und es geht mit jämmerlichen 2,5 Knoten nordwärts. Aus Sorge um einen möglichen Wetterumschwung steuern wir also wieder die Küste an und biegen statt in Beaufort, North Carolina 100 Seemeilen westlicher in den Intracoastal ein.

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Nach drei Tagen Motortuckern erreichen wir dann tatsächlich Beaufort. Beim Anblick der vielen Yachten im Ankerfeld fällt uns erstmal die Kinnlade runter. Es gibt sogar Muringtonnen! In unserem tollen Revierführer steht zwar, dass dieser Ankerplatz ziemlich voll sein soll, aber das hatte es bis jetzt immer über jeden Ankerplatz geheißen. Die Nächte zuvor hatten wir tolle Ankerplätze mit massig Platz und gutem Ankergrund. Teilweise sind wir die einzige Yacht gewesen und das Zirpen der Grillen war so laut, dass es fast schon weh tat in den Ohren. Außerdem ist gerade keine „Intracoastal“-Saison, die meisten Yachten sind im Frühling und Herbst unterwegs. Den Revierführer hat Johannes übrigens auf seiner ersten Reise gekauft und obwohl er sogar von 2001 ist, hat sich offenbar wenig geändert. Auch nicht die Lage in Beaufort. Mit langen Gesichtern umkreisen wir das Ankerfeld auf der Suche nach einem geeigneten Platz, an dem wir unseren Haken schmeißen können. Ganz am Ende des Feldes gibt es eine kleine Lücke, die aber auch nur so halb optimal ist. Dies ist im Übrigen die Geschichte mit dem Tornado.

Als wir den Anker gerade fallen lassen, ruft ein Mann von der anderen Uferseite, ob wir nicht an seinem Privatsteg festmachen wollen. Jim erzählt uns später, dass er seinen Steg regelmäßig an Durchreisende verleiht und die Leute oftmals skeptisch reagieren. „Umsonst an einem Steg? Der gehört ihm bestimmt gar nicht!“ Jim bringt uns sogar noch einen neuen Schlauch, damit wir die Wassertanks füllen können oder sogar das Boot abspritzen.

Mit dem Anlegen an Jims Steg, der selbst gerade am Tag zuvor von einem achtmonatigen Törn aus der Karibik zurückgekehrt ist, beginnt für uns ein neues Kapitel amerikanischer Gastfreundschaft begonnen. Ohnehin haben wir in den USA bis jetzt nur wirklich nette Leute kennen gelernt. Und während wir in der Karibik ein Pärchen von vielen Atlantiküberquerern waren, werden wir, je weiter wir nach Norden kommen, auch noch zum bunten Hund. Natürlich sollen wir bei Jim und und seiner Freundin Anechy duschen und unsere Wäsche waschen, denn „das ist es doch, was alle Segler wollen – eine heiße Dusche und eine Waschmaschine“. Und ein kaltes Bier. Abends lädt uns Jim spontan zu einem Bier ein, obwohl gerade zwei befreundete Paare zum Abendessen da sind, von denen uns einer seine Fahrräder für den nächsten Tag anbietet. Die brauchen wir aber nicht, denn Jim leiht uns einfach so seinen Volvo, damit wir einkaufen fahren können. Die Einweisung ins Auto besteht aus dem Übergeben der Schlüssel und der Beschreibung des Weges zum Supermarkt. Keine Frage nach einem Führerschein oder dergleichen. „Mir ist auf meinen Segelreisen auch von so vielen Leuten geholfen worden – das will ich weitergeben“, sagt er.

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Eigentlich wollten wir nur eine Nacht in Beaufort bleiben, aber nachdem uns Jim schon für den nächsten Abend zum Abendessen einlädt, erscheint es uns fast schon undankbar so schnell wieder abzuhauen. Außerdem gibt es ein maritimes Museum in Beaufort, dass bei unserer Ankunft schon geschlossen hatte. Natürlich fährt uns Jim die paarhundert Meter zum Museum, damit wir in dem plötzlich starken Regen nicht nass werden. Als wir etwa eine halbe Stunde im Museum sind, wird es auf einmal ziemlich voll. Fast wollen wir schon gehen, viele Menschen sind uns immer noch irgendwie ungeheuer, bis uns klar wird, dass alle Besucher in den hinteren Teil des Museums gebracht wurden. Tornadowarnung. Unsere Gedanken wandern natürlich unweigerlich zu „Maverick“. Wie gut, dass sie fest an einem Steg und nicht vor Anker in dem engen Feld liegt! Und irgendwie auch gut, dass wir gerade in einem Haus und nicht auf dem Boot, oder schlimmer noch, auf dem Atlantik sind. Auf dem Handy verfolgen wir gespannt die Zugbahn des Unwetters und wie sich der dunkelrote Bereich auf der Wetterkarte über Beaufort legt. Mitarbeiter des Museums sagen den aktuellen Stand und die voraussichtliche Wartezeit an. Die Amerikaner wirkten eigentlich ziemlich cool. Da merkt man, dass ein Tornado für sie keine Seltenheit ist.

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Selbst im Museum können wir das Windheulen und das Regenprasseln hören. Gewitter sind ja schon heftig hier drüben, aber als wir endlich aus dem Museum rausgehen dürfen, trauen wir unseren Augen kaum: Bis über die Knöchel steht die Stadt unter Wasser, Autos abgesoffen, Sandsäcke routinemäßig vor Ladentüren gestapelt. Die Straße sieht aus wie der Intracoastal persönlich.

Die folgenden Tage sind weniger ereigisreich, aber dennoch fantastisch. Zeitweise knüppeln wir gegen den Wind über einen Sund, mit einem Tagesdurchschnitt von 2,5 Knoten. Dann tuckern wir stundenlang durch einen „Canale Gerade“, wie ihn unser Nachbar Bert aus Oberndorf getauft hat. Dort steht das Wasser und hat die Farbe von Kaffee. Nicht mal Handyempfang gibt es da draußen, mitten in den USA. Wir sehen unzählige bunte Libellen, viele von unseren neuen Lieblingsvögeln Pelikane und die dicksten Dinofliegen, die so laut brummen, als würde ein Düsenjet neben einem starten. Jim hat zu mir gesagt, als ich keinen Essensnachschlag mehr nehmen konnte: „In den USA geht es ausschließlich um Exzess!“ Das riesige Insekt, das sich auf unserer Persenning ausruht, gibt ihm recht.

Vorgestern erreichen wir Elizabeth City, die nächstgrößere Stadt vor Camden. In Elizabeth City gibt es kostenlose Dockplätze für durchreisende Yachties und sogar Duschgelegenheiten. Schon von weitem sind viele Transparente zu lesen: „Welcome to Elizabeth City, Harbor of Hospatility“. Überhaupt hat es sich die Stadt zur Aufgabe gemacht, die yachtfreundlichste am Intracoastal zu werden. Dazu passt auch Gus, der unsere Leinen annimmt. Der 73-jährige Rentner mit den blauesten Augen, die ich je gesehen habe, sitzt bei jedem Wetter auf einem Klappstuhl auf der Ladefläche seines gelben Trucks und begrüßt alle Neuankömmlinge. Die Sympathie scheint gegenseitig zu sein. Kaum eine Viertelstunde angelegt, schon hat er uns nicht nur ein Lied vorgesungen und Sightseeing-Tipps gegeben, sondern Johannes auch eine Auslöse versprochen, sollte er mich heiraten dürfen. Gus ist ein derart fröhlicher Mensch und man merkt, dass er seine Aufgabe aus vollem Herzen macht.

Toppen kann das nur noch Bill, der Dockmaster in Lamb’s Marina. Er ist gerade mit seiner Bulldogge Lilly beim Tierarzt, als wir ankommen. Als er uns aber den Liegeplatz zugewiesen und das Gelände gezeigt hat, sagt er „Welcome home“- Willkommen zuhause, und so fühlen wir uns auch. Mittlerweile sind wir John and Katie und das gefällt uns ziemlich gut.

Ach, fast hätte ich die Kopfdichtung vergessen! Mittlerweile haben wir achtzig Motorstunden seit der Reparatur auf der Uhr. Eingefahren. Keine Klagen.

Cati