Dicke Wolken im Paradies …

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Liebe Leser,

auf unserem Weg nach Süden haben wir viele „Snowbirds“ kennengelernt. Segler, die den Winter auf den Inseln der Bahamas verbringen wollen. Für die meisten Amerikaner und Kanadier ist es ein einfacher Weg die Ostküste hinunter, weil man im Zweifel binnen fahren kann. Doch die Überquerung des Golfstroms als letzte große Hürde ist ein Erlebnis, vor dem viele Respekt haben. Viele Crews haben sich deshalb zu festen Terminen an bestimmten Orten Floridas mit Freunden verabredet, um den großen Sprung über den Golfstrom gemeinsam zu begehen.

Die meisten Yachten starten für gewöhnlich von Miami, denn von dort ist der Abstand zu der ersten Bahamasinsel Bimini am geringsten, lediglich 45 Meilen. Durch genau diese schmale Stelle muss allerdings auch der Golfstrom hindurch, wenn er von Süden kommt und in Richtung Azoren über den Atlantik drückt. Auf dieser Grafik kann man das ganz gut erkennen.

Rote Linien in der Mitte des Stroms bedeuten einen nach Norden setzenden Strom von bis zu drei Knoten. Wir haben sogar bis zu 3,5 Knoten erlebt. Kein Wunder also, dass die örtlichen Bootsfahrer ein wenig Bammel vor dem großen Strom haben, denn die Überfahrt kann sich als sehr kniffelig entpuppen. Kommt der Wind etwa von Norden und steht gegen die Strömung, bauen sich innerhalb kürzester Zeit gewaltig hohe, aber kurze Wellen auf. So war es, als ich den Golfstrom im Jahr 2006 zum ersten Mal überquert habe. Damals hat sich mein kleines GKF-Schiff so sehr in den Wellen verwunden, dass sich die Sitzbänke bewegt haben und das Hauptschott gebrochen ist.

Am 27. Dezember ist meine kleine Schwester Susi in North Palm Beach an Bord gekommen, um mit uns auf die Bahamas zu segeln. Als letztmöglicher Termin für die Querung des Stroms war der 31. Dezember 2015 vorgegeben – denn an diesem Tag lief unser Cruising-Permit für die USA aus. Der Wind sollte an diesem Tag von Südosten kommen, also genau gegenan. Aber zumindest nur mit 2 bis 3 Beaufort, also machbar. Mit unserem Start von Fort Lauderdale aus hatten wir einen ohnehin schon sehr schlechten Winkel, um auf die Bimini-Inseln zu gelangen, eine Peilung von 120 Grad. Aber da noch der leichte Gegenwind und der nach Norden setzende Strom in die Kursfindung hineinspielen, hieß es wieder einmal so weit vorhalten, dass die Nase auf Kuba zeigt – um nach Bimini zu gelangen. Aus unseren 5,5 Knoten Cruising-Speed wurden dann über Grund zeitweise nur noch jämmerliche 2,8 bis 3 Knoten.

Um 4 Uhr morgens haben wir dann am 1. Januar 2016 vor Nord-Bimini den Anker geworfen um uns noch einige Stunden bis zum ersten Tageslicht in die Koje zu legen. Ein wunderschönes Erlebnis, das eine Land im alten Jahr zu verlassen und im neuen Jahr in einem neuen Land anzukommen.

Angekommen in der Karibik. Zumindest so ähnlich. Denn die Bahamas lassen sich nicht mit der übrigen Karibik über einen Kamm scheren. Die Bahamas sind anders. Die Inseln flacher und sandiger, mit wenig Palmen bewachsen. Tourismus ist nur in kleinen Bereichen der Inselgruppe zu finden und die Leute meist sehr hilfsbereit und nett.

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Über den Rest der Tage berichtet meine kleine Schwester Susi:

In den letzten Jahren habe ich den Jahreswechsel mit einer Silvesterparty erlebt, wie es bei uns zuhause so üblich ist. Doch das war in diesem Jahr ganz anders. Am Morgen des ersten Januars habe ich die Gardinen beiseite geschoben und auf einen Sandstrand mit Palmen geschaut, an dem Wellen wie auf einer Postkarte aus türkisem Wasser in weißem Schaum auslaufen … Was für ein Bild!

Die Überfahrt aus dem Jahr 2015 in das Jahr 2016 war rau und ruppig, dafür hatten wir aber einen idyllischen Jahresbeginn.

Nachdem der Skipper die „Maverick too“ auf dem Flughafen einklariert hat, stand uns ein Urlaubstag im Paradies bevor. Zum Omelette-Frühstück hatten wir sogar einen Frühstücksgast an Bord. Der 22-jährige Tanner war am Tag zuvor auch aus den USA per Segelboot eingereist und einige Stunden vor uns angekommen. Es war, als säße Johannes (acht Jahre jünger) noch einmal in unserem Cockpit und gebe sich selbst in seiner heutigen, erfahreneren Ausgabe Ratschläge. Egal aus welchem Land man kommt und welche Sprache man spricht, ein Segler mit einem Traum muss sich immer wieder durch die selben Widerstände und Vorurteile kämpfen. Während die Jungs über Seglerthemen und Seekarten debattierten, hatten Cati und ich Gelegenheit die Szenerie auf uns wirken zu lassen. 

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Eine Nacht noch hatten wir die Chance, alle Vorzüge dieser Marina zu nutzen. Das erste Baden im Meer des Jahres und Schwimmen im Pool. Die Abkühlung war auch bitter nötig bei der gleißenden Sonne und Temperaturen um 35 Grad. Wer hätte gedacht, dass es auf den Bahamas im Winter noch so heiß ist?

Das führte auch zu meinem ersten Sonnenbrand des Jahres. Und zum Vorsatz, sich gleich morgens mit Lichtschutzfaktor 50 einzuschmieren.

Je mehr die Kraft der Sonne am Abend nachließ, desto heftiger wurden wir von Zwickgefühlen auf der Haut heimgesucht. Es dauerte eine Weile, bis wir den Grund dafür entdeckten: Winzig kleine Moskitos, die passenderweise „no-see-ems“ (Nicht-zu-sehen) genannt werden. Elendige, kleine schwarze Punkte, die man in der Kajüte nur gegen das Licht erkennen kann und vor denen auf keiner idyllischen Karibik-Postkarte gewarnt wird. Als Abendunterhaltung hat sich deshalb schnell ein neues Spiel etabliert: Zerdrück den No-see-em. Das Spiel der Moskitos: Stich den Segler. Die No-see-ems haben letztlich gewonnen. Mit großem Vorsprung. Johannes hat am nächsten Morgen 150 Mückenstiche gezählt, bei mir waren es eher 200. Mein zweiter Vorsatz in diesem Jahr: Immer schön mit Mückenschutz einsprühen und die Luken mit Mückennetzen dicht halten.

Unser Ziel am nächsten Tag ist die Insel Gun Cay. Ein kleines Eiland mit einem schönen Sandstrand und einer geschützten Ankerbucht. Mit kalter Cola und kühlem Bier bewaffnet machen wir es uns am Strand gemütlich. So kann also Leben sein … ein Stück mit einem Boot fahren, ankern, am Strand liegen und im Meer baden … Aber das ist nur der idyllische Teil des Lebens auf einem Boot, vielleicht auch nur ein Vorurteil des Seglerlebens, das die Landratten haben. Als blinder Passagier auf einem Segelboot merkt man schnell, das das Bordleben nur eine andere Form von Alltag ist. Vielleicht eine sonnigere und buntere als in Deutschland und die Sorgen und Arbeiten mögen andere sein als zuhause, aber es ist dennoch Alltag.

Ich allerdings habe Urlaub und genieße Strand, Wasser und Wärme. Zumindest bis ich in meinem Augenwinkel direkt neben mir eine Bewegung im Wasser wahrnehme. Ein gewaltiger Rochen schwimmt nur wenige Zentimeter an mir vorbei. Mein Hechtsprung an Land wäre einem Clip für eine Pannenshow wert gewesen, während der Rochen desinteressiert weiter schwimmt. Scheinbar ist er noch mehr im Urlaubsmodus als ich. Weiter den Strand hinauf beobachten wir eine ganze Rochenfamilie, die direkt am Ufer durchs flache Wasser gleitet. Es scheint hier von diesen eleganten Viechern nur so zu wimmeln.

Am Abend machen wir einen Ausflug zum Leuchtturm. Nach einer Fahrt im Dingi und einem abenteuerlichen Weg über Stock, Mangroven und Felsen – hätten wir mal Schuhe mitgenommen – genießen wir einen tollen Sonnenuntergang mit unzähligen Farben, die sich in Meer und Himmel widerspiegeln und auf Pflanzen und Leuchtturm legen. Wie der kleine Prinz (von Antoine de Saint-Exupéry) beobachten wir andächtig das Spektakel, nur können wir unseren Stuhl nicht ein Stückchen weiter schieben – und so machen wir uns wieder auf zur „Maverick“.

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Das beste daran, die Bahamas von einem Schiff aus zu erleben, besteht darin, jeden Morgen mitten in einem Pool aufzuwachen. Vor dem Frühstück eine Runde um das Boot zu schwimmen, macht sogar mir als Sportmuffel Spaß 🙂

Johannes hat das Wrack eines Betonschiffes ausfindig gemacht, das seit 90 Jahren auf einem Riff liegt und ein Schnorchelparadies ist. Als wir das Wrack erreichen, haben wir es ganz für uns. Ein imposanter Anblick. Der vordere Teil des Schiffes ist auch nach all den Jahren und Hurrikanen noch gut erhalten. Die Besucher haben über die Jahre Graffitis hinterlassen. Vom Mittelteil ist nur noch das Gerüst übrig, während das Heck vollkommen weggebrochen ist. Insgesamt fühlt man sich an die verlassene Ruine einer Lagerhalle erinnert, die durchzogen ist von türkisen Fluten. Wir schnappen uns das Schnorchelzeug und legen die letzten Meter per Dingi zurück.

Unter Wasser tummeln sich tausende Fische in den schillerndsten Farben. Gerade am Heck des Schiffes kann ich mich gar nicht entscheiden, wo ich zuerst hinsehen soll. Ich treibe umgeben von Fischen in einem Aquarium, anders kann ich mir den Anblick nicht erklären. Umringt von gestreiften Riffbarschen, die ganz besonders neugierig zu sein scheinen, strecke ich immer wieder meine Hände aus, um die Dimensionen unter Wasser besser erfassen zu können. Die Fische scheinen direkt an meiner Schnorchelbrille vorbeizuschwimmen. In meinem Magen knistert es vor Begeisterung und ein Knistern ist auch das einzige was ich höre. Es muss das Kauen der Fische sein, schlussfolgere ich, das sich in der Menge der Geräusche wie ein Knistern anhört. Ich kann mich gar nicht satt sehen an dem quirligen Bunt der Fische im Kontrast zu den grauen verfallenen Überresten des Schiffes.

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Gerade als wir müde von den Eindrücken wieder aus dem tiefen Wasser ins Dingi klettern (Johannes mit der Wendigkeit eines Delfins, ich mit der Selbstironie eines Walrosses …), erreichen weitere Boote das Wrack. Wir sind nicht mehr allein, aber jetzt teilen wir es gerne und uns wird sogar ein Showprogramm geboten. Ein paar Leute springen von ihrem Boot, schwimmen zum Wrack und erklimmen das Vorschiff, um es als Sprungturm zu nutzen.

An Bord bereitet uns Cati erst einmal einen Cappuccino, damit wir das Spektakel von unserem Logenplatz im Cockpit aus genießen können. Anschließend machen wir uns auf zu einem geschützten Ankerplatz für die Nacht, während bereits dunkle Regenwolken aufziehen.

Die Tage in den Bahamas waren für mich ein Traum von einem Paradies, doch langsam wird es wieder Zeit für die Wirklichkeit und den Alltag.