Am Scheideweg

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Liebe Leser,

die Zwangspause auf den Bahamas wegen diverser Wehwehchen und Krankheiten, aber auch schlechter Wetterverhältnisse hat uns viel Zeit geschenkt. Vor allem Zeit zum Denken. Dabei wurde die eine Frage immer dringlicher, die wir bislang einfach verdrängt haben: Wie geht es eigentlich weiter?

Aus gutem Grund haben wir recht selten konkrete Routenpläne auf unserer Webseite veröffentlicht und nur manchmal Wunschziele angedeutet. Zu schnell werden gewisse Erwartungen erzeugt, die auch nur allzu schnell enttäuscht werden können – sowohl bei den Bloglesern als auch bei uns selbst. Nicht umsonst schaffen es von denjenigen, die eine Weltumsegelung geplant haben, nur wenige bis zu den Kanaren und viele davon kehren vor dem Panamakanal um. Das kann unterschiedliche Gründe haben: Die Gesundheit, das Boot, die Familie, die Finanzen – oder auch ganz einfach Angst.

Von den meisten Bloglesern und Freunden wurde unsere Reise schnell als „Weltumsegelung“ bezeichnet, während wir lieber vorsichtig von einer „WeltBEsegelung“ gesprochen haben. Denn eines war von vornherein klar: Für eine Weltumsegelung reicht die uns zur Verfügung stehende Zeit nicht aus, wenn wir beim Reisen auch noch etwas sehen wollen.

Wir haben mit dem Haus an der Oste einen Heimathafen und Johannes konnte während der bisherigen Reise nicht nur von unterwegs als Journalist arbeiten, sondern hat nach zwei Jahren sogar garantiert einen Büroarbeitsplatz in Hamburg. Ein Privileg gegenüber vielen Aussteigern, die alles hinter sich lassen müssen, um ihren Traum vom Segeln finanzieren zu können. Die meisten kehren zurück in eine ungewisse Zukunft.

Unsere Segelzeit mit dem zeitlich sehr großzügigen „Ausstieg“ aus dem festen Arbeitsalltag ist also eher ein „Sabbatical“. Eine Wahrheit, die wir zugegebenermaßen gerne selbst nicht wahr haben wollten.

„Ihr habt euch viel länger auf die Reise vorbereitet, als ihr nun tatsächlich unterwegs seid. Das ist irgendwie falsch“, sagt uns unser Freund Herbert von der „Maya„, als wir in der Karibik ankommen und zum ersten Mal unsere Erwägungen mit ihm diskutieren. Ein Satz, der uns nicht nur in den Kopf, sondern auch ins Herz trifft. Denn seit Johannes 2006 von seiner Einhandatlantikreise wieder gekommen ist, träumt er von mehr. Eigentlich hat er seine ganzen 20er Jahre nur darauf ausgerichtet. Wir haben uns kennengelernt, als er gerade mitten in den Plänen einer sehr sportlichen Weltumsegelung war. Geld, das Leben und vermutlich auch unsere Beziehung haben seine ehrgeizigen Pläne dann hintenan gestellt und unser Zusammensein rief in Johannes den Wunsch hervor, seine Leidenschaft zu Reisen mit mir teilen zu können.

Ein weiterer Faktor, der unsere Pläne beeinflusst hat: Ich habe 2009 eine chronische Krankheit bekommen. Obwohl der Verlauf und die Prognose der Krankheit gut sind, hat die Diagnose, nur wenige Monate nach unserem Kennenlernen, unser beider Leben gehörig durcheinander gewirbelt und Prioritäten verschoben. Die Möglichkeit, dass ich im Verlauf meines Lebens körperlich nicht mehr zu einer gemeinsamen Reise in der Lage sein könnte, hat unsere Wunschreise unter Segeln um so vieles wichtiger gemacht und auch dazu geführt, dass wir im September 2014 die Leinen gelöst haben.

Mit der tollen Jobgarantie von der YACHT wurden uns zwei Jahre geschenkt, in denen wir uns seglerisch austoben konnten – mit bislang bekanntem Ergebnis. Ursprünglich wollten wir rund Nordamerika segeln, ein Route, die es Johannes ermöglichen würde, mir „seine“ Plätze der ersten Reise zu zeigen, aber auch Neues zu wagen und ihm seinen lang gehegten Traum vom Eis zu verwirklichen. Die Erkenntnis, dass dieser Plan mit „Maverick“ nur schwerlich realisiert werden kann, war nicht leicht zu verdauen.

Dennoch sind wir froh und dankbar über jede gesegelte Seemeile, die wir im Kielwasser lassen konnten. In Gedanken sahen wir uns in der Südsee, vielleicht in Kanada. Wir malten uns aus, wie es sein würde, länger auf dem Boot zu wohnen und in gewisser Weise wurde dieser Wunsch unsere Realität. Ich las gebannt, wie „Maya“ durch den Panamakanal fuhr, in der festen Überzeugung, dass wir ihnen bald folgen würden. Wir freuten uns auf ein Wiedersehen mit unseren Freunden von der „ZigZag„, die gerade über den Atlantik gekommen sind und mit denen wir die Südsee erkunden wollten.

Fakt ist, dass es mittlerweile Mitte Februar 2016 ist und Johannes am 01. Oktober diesen Jahres wieder auf seinem Schreibtischstuhl in Hamburg sitzen muss, wenn er seinen Job behalten will. Fakt ist, dass während unser Reise Menschen unter dem Medikament, das ich einnehme, gestorben sind, was teure zweimonatliche Blutkontrollen erforderlich macht, deren Kosten die Auslandskrankenversicherung nicht übernimmt. Zudem wird mit dem Verlassen Amerikas eine Versorgung mit dem Medikament (das aus Deutschland kommt) logistisch nahezu unmöglich und eine größerer Vorrat für entlegenere Inseln kann wegen der Todesfälle, der regelmäßig notwendigen Blutkontrollen und den hohen Kosten für das Medikament selbst nicht an Bord genommen werden. Fakt ist, dass das Haus ebenfalls unterhalten werden muss und dass unsere Mieter zum April ausziehen. Realismus ist, dass unsere finanzielle Situation die Reise immer gefährdet. Fakt ist, dass wir vor allem unsere Familien und Freunde vermissen.

Fakt ist aber auch, dass wir wegen Job, Gesundheit und Familie sicher nicht so schnell noch einmal die Gelegenheit zu einer solchen Reise bekommen (wenn überhaupt). Fakt ist, dass uns durch die Medikamentensituation immer wieder eine Grenze am Pazifik gezogen wird, wenn wir uns nicht in Illusionen um eine etwaige medizinische Revolution versteifen wollen – und wenn wir es jetzt nicht versuchen, wohl auch gemeinsam zu anderer Zeit nicht schaffen werden. Fakt ist, dass wir immer noch weiter wollen und dass unser Durst auf die Welt noch lang nicht gelöscht ist. Fakt ist, dass ich mich miserabel fühle bei dem Gedanken, dass unsere Reise seit einiger Zeit ihren Gipfelpunkt erreicht hat – und ich das verpennt habe. Und ja, ich habe unendliche Schuldgefühle, dass meine gesundheitliche Situation einen großen Anteil daran hat, dass Johannes seine Herzensträume nicht mit mir zusammen erfüllen kann. Träume, die es schon viel länger gibt als uns als Paar. Keine seiner Beteuerungen, dass er seinen Frieden damit hat, kann das gut machen.

Denn Fakt ist, dass alle vernünftigen Überlegungen nur allzu gerne für wahre Träume über Bord geworfen werden.

Es scheint, als müssten wir die Entscheidung endlich lozufahren, noch einmal treffen. Es gibt für unsere Zukunft sechs denkbare Szenarien:

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Option A: Wir kehren um und beenden unsere Reise wie geplant nach zwei Jahren.

Das Sicherheitsszenario. Ab April oder Mai segeln wir über den Nordatlantik zurück nach Europa und bereisen Orte, für die wir auf dem Hinweg keine Zeit hatten. Uns schweben viele Ziele und Routen vor und bei dem Gedanken an französischen Käse geraten wir jetzt schon ins Schwärmen. Vielleicht noch an Gibraltar vorbei ins Mittelmeer und über die Kanäle quer durch Europa nach Hause? Wir sehen unsere Familie wieder und sind ganz sicher bei der Hochzeit von Johannes kleinem Bruder Tobi und seiner Sophie dabei. Johannes behält seinen Job in Hamburg und wir ziehen in das Haus an der Oste. Wir bringen „Maverick“ wieder an den Steg, an dem wir auch abgelegt haben. Wir machen tausend Pläne, wie wir vielleicht irgendwann doch noch einmal loskommen.

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Option B: Wir segeln um die Welt.

Das All-in-Prinzip. Wir brechen nach Panama auf und versuchen Geld zu verdienen. Vermutlich müssen wir dazu zwischendurch nach Hause kommen. Die Medikamentenversorgung ist äußerst schwer, stressig und vor allem teuer. Wir sind noch mindestens zwei Jahre unterwegs. Der feste Job in Hamburg ist weg. Wir brauchen neue Mieter, um das Haus halten zu können. Wir sehen viel von der Welt. Wir besegeln alle Ozeane. Wir machen die Reise „rund“. Unsere Reiselust wird vorübergehend gestillt. Wir bringen „Maverick“ wieder nach Hause. Wir haben keinen Plan für das „Danach“. Reicht das Geld? Wir machen tausend Pläne, wie wir vielleicht irgendwann mit eigener Familie noch mal loskommen. Aber dann nur zu näheren Zielen.

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Option C: Wir machen einen Pacific-Circle.

Der Kompromiss. Nach unserer Atlantikrundfahrt weiten wir die Reise auf den Pazifik aus. Viele unserer wirklichen Traumziele sind auch ohne eine Weltumsegelung zu erreichen. Hawaii, Alaska … mit dem amerikanischen Postsystem haben wir eine Chance, die Medikamente an Bord zu bekommen. Wir müssen zwei Mal durch den Panamakanal fahren. Wir segeln nicht „nur“ im Atlantik (ein Ego-Argument, das nicht zu unterschätzen ist). Wir geben uns unserer Reiselust hin und überqueren am Ende noch einmal den Atlantik. Der feste Job in Hamburg ist weg. Reicht das Geld? Wir bringen „Maverick“ wieder nach Hause. Wir machen tausend Pläne, wie wir vielleicht mit eigener Familie noch mal loskommen.

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Option D: Mal sehen, wie weit wir kommen … (Wir verkaufen „Maverick“.)

Die Verzweiflungstat. Wir fahren Richtung Panama und durch den Kanal in den Pazifik. Wenn wir merken, dass das Geld nicht reicht und wir vor allem die Medikamentenfrage nicht klären können, segeln wir so weit wie es geht und kosten jede Meile aus, verkaufen „Maverick“ und fliegen nach Hause. Der feste Job in Hamburg ist weg. Johannes bringt „Maverick“ wieder nicht nach Hause (ein Ego-Argument, das nicht zu unterschätzen ist). Wir machen tausend Pläne, wie wir vielleicht noch mal loskommen.

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Option E: Johannes segelt alleine weiter.

Der Überlebensinstinkt. Catis Vorschlag (Johannes ist nicht begeistert davon). Viele Hindernisse hängen an Cati’s gesundheitlichen Situation. Steigt sie aus, fallen die Kosten für eine doppelte Krankenversicherung, die teuren Blutuntersuchungen und die Logistikprobleme weg und die finanzielle Situation entspannt sich merklich. Cati fliegt nach Hause und beginnt einen Job. Neue Routen sind denkbar. Johannes kann sich einen langen Traum erfüllen. Sollten es Finanzen und Urlaubsplanungen zulassen, könnte Cati zwischenzeitlich zusteigen. Allerdings dann nie länger als 3 Wochen am Stück. Johannes innere Sehnsucht wird erfüllt, dafür öffnet sich durch das Einhandsegeln eine neue Leere. Wir müssen lange Zeit ohne einander auskommen. Der feste Job in Hamburg ist weg. Johannes bringt „Maverick“ nach Hause. Wir machen tausend Pläne, wie wir vielleicht doch noch mal gemeinsam loskommen.

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Option F: Wir machen ein Charterbusiness auf den Bahamas auf.

Das Geschäftsmodell. Erstaunlich viele Emails haben uns erreicht mit der Frage, ob wir eine Koje verchartern. Das hat uns sehr überrascht und geschmeichelt, aber mit „Maverick“ ist das auch kaum möglich. Wir haben nicht mal eine Dusche an Bord oder ein Waschbecken in der Nasszelle und mit der Privatsphäre ist das auch so eine Sache. Grundsätzlich gefällt uns die Idee aber ziemlich gut. Mit dem Segeln auch Geld zu verdienen. In der Karibik gibt es etliche Möglichkeiten zu chartern, für deutschsprachige Kunden ist der Markt auf den Bahamas aber noch recht spärlich besetzt, obwohl das Revier fantastisch ist. Voraussetzung ist für uns der Kauf eines Katamarans oder eines größeren Einrümpfers (die Internetverkaufsseiten durchforstet Johannes ohnehin täglich aus Leidenschaft). Wir bringen „Maverick“ nach Hause, arbeiten in Deutschland, (verkaufen sie?!) und finanzieren ein neues Boot. Wir erwerben die erforderlichen Lizenzen. Wir überführen nach Nassau und besegeln in 10-Tages-Törns mit Mitseglern die Exumas, bezahlen das neue Boot ab. Wir sind Eigentümer eines neuen Bootes. Wir können realistischere Pläne machen, wie wir mit eigener Familie noch einmal loskommen oder zu zweit von den Bahamas weitersegeln.

Wie gesagt, wir sind für jede Seemeile, die wir bisher gesegelt sind, dankbar und hatten eine fantastische Zeit. Man kann unsere Überlegungen als „Luxusproblem“ abtun, denn wer hat schon Zeit seine Träume zu folgen? Wer kann schon zwei Jahre segeln gehen? Aber es sollte nicht vergessen werden: Als wir im September 2014 die Leinen gelöst haben, war das mehr als der Aufbruch zu einem Urlaub oder Sabbatical. Wir waren 27 und 28 und haben unserem Leben eine neue Ausrichtung gegeben. Wir sind nicht nur einfach Akteure in einem Segelblog. Jede Entscheidung, die wir auf dieser Reise treffen, ist eine große Lebensentscheidung: Wer wollen wir sein?

Nachdem wir alle Optionen fast schon kaputt überlegt haben, interessiert uns aber auch eure Meinung, Pros und Cons. Wie würdet ihr entscheiden?