Ein Treffen mit der Vergangenheit

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Liebe Leser,

nach anderthalb Jahren auf dem Wasser ist ein neuer Meilenstein erreicht. Wahrscheinlich sogar einer der bedeutendsten unserer Reise. Seit vorgestern Abend ankert unsere „Maverick too“ vor der richtigen, der Original-“Maverick“, mit der Johannes 2005/2006 einhand über den Atlantik gesegelt ist.

Die kleine Fellowship 27, die Johannes im Herbst 2005 mit seinen Eltern auf einem Trailer nach Lissabon gebracht hat. Die „Maverick“, die ihn mit viel Bewahrung sicher über den Atlantik, durch die Karibik und in die USA gebracht hat, das Boot, das Johannes schweren Herzens in Charleston, NC verkauft hat. Ein Schiff voller Geschichten, voller Abenteuer.

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Das Schiff hat Johannes‘ Leben geprägt. Über 200 Vorträge hat er über den Einhandtörn über den Atlantik gehalten und auf etlichen davon war ich quasi „mit an Bord“. Mehrmals habe ich sein Video von damals gesehen und auf unserer Reise haben wir immer wieder Bilder von damals angeschaut und mit der heutigen Wirklichkeit verglichen. In unserem Salon hängt sogar ein großes Bild der „Maverick“, wie sie in den Tobago Keys klein und strahleweiß in türkisem Wasser schwimmt. Obwohl ich noch nie einen Fuß auf das Boot gesetzt hatte, war sie mir als so wichtigem Teil von Johannes‘ Leben lieb und vertraut. Und trotzdem konnte ich nur erahnen, wie stark sein Herz im Hals geschlagen haben muss, als wir vorgestern langsam um die letzte Ecke gebogen sind und sich „Maverick“ in unser Sichtfeld geschoben hat.

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Das letzte Mal hat Johannes „sein“ Schiff vor ziemlich genau acht Jahren im März 2008 gesehen. Damals war er gerade für drei Wochen in den USA und hat sich bei der Gelegenheit auf die Suche nach „Maverick“ gemacht. Obwohl er den genauen Liegeplatz nicht kannte, hat Johannes das Schiff recht bald ausfindig machen und den neuen Eigner Bob Winter kennen lernen können, der „Maverick“ kurz zuvor übernommen hatte. Schon der zweite Eigner nach Johannes. Er hatte bereits einige Veränderungen an der kleinen Fellowship vorgenommen, sie insbesondere mit Kühlbox, Klimaanlage und Mikrowelle „amerikanisiert“. Bob ließ Johannes mit dem Gefühl zurück, dass sein Mädchen in gute Hände gelangt ist. „Wenn du sie eines Tages verkaufen willst, melde dich“ hat er Bob damals bei der Verabschiedung gesagt. Irgendwann wollte er sein Mädchen wiederhaben. Vielleicht würde er bis dahin die Möglichkeit haben, das Schiff wieder nach Hause zu bringen. „Mache ich“, lachte Bob damals, und fügte hinzu: „Aber so schnell wird das nicht passieren.“

Es dauerte fünf Jahre, bis Johannes wieder von Bob hörte. „Ich habe mich nun entschlossen, das Schiff zu verkaufen“, schrieb er in einer Mail, „und du hattest mich doch darum gebeten, dass ich dir Bescheid gebe.“ Damals waren wir jedoch nur ein Jahr vor dem eigenen Aufbruch mit der „Maverick too“. Das Geld war knapp und Johannes sah keine Möglichkeiten, das Schiff zu übernehmen. Die nächste Nachricht von „Maverick“ kam nur wenige Monate später von Bobs Stegnachbarn in St. Marys, Georgia. Bob war gestorben. Die Bank hatte Besitz von „Maverick“ ergriffen, wegen offener Schulden. Es dauerte fast zwei Jahre, bis die Bank von ihren horrenden Preisvorstellungen Abstand genommen hatte. „Maverick“ war inzwischen verkommen und von anderen Seglern geplündert worden.

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Bob Winter an Bord der „Maverick“ im Frühjahr 2008

Dann wurde Rabble neuer Eigner der „Maverick“. Er hat vor Jahren seine Heimat im Norden der USA verlassen, ist durchs Land getrampt und auf einem Kajak den Mississippi hinunter gefahren. Vor eineinhalb Jahren hat er ein 22-Fuß-Segelboot gekauft und mit dem Segeln begonnen. Durch einen Zufall kam er nach St. Marys, sah „Maverick“ dort im Boatyard stehen und handelte mit der Bank einen Deal aus. Er lebt nun seit einem Jahr auf dem Schiff und hat ambitionierte Pläne. Er hätte wohl kein passenderes Schiff wählen können …

Unser Zusammentreffen ist eher einem Zufall geschuldet. Auf dem Weg durch die Florida Keys hat Original-„Maverick“s Motor schlapp gemacht und Rabble und seine Freundin Darla haben notgedrungen vor Marathon Key den Anker geworfen, um in Ruhe eine Lösung zu finden. Deshalb hat Johannes zunächst kopfüber im ihm vertrauten Motorraum gesteckt, bevor er sich erst einmal in der Kajüte umgesehen hat.

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Wir sind mit gemischten Gefühlen zu diesem Treffen gekommen. Acht Jahre ist es her, dass Johannes zuletzt an Bord war. Eine lange Zeit. Noch dazu hat sich lange niemand um das Boot gekümmert, was Spuren hinterlassen hat. Wir haben uns gefragt, ob es vielleicht besser sei, die guten Erinnerungen nicht mit der Realität zu überspielen.

Obwohl sich vieles verändert hat, ist etliches noch gleich. Die Polster zum Beispiel, die Johannes Mutter Gabi für die „Maverick“ genäht hat. Oder die Kabel, die der 19-jährige Johannes gezogen und mit dem damals neuen Schaltpanel installiert hat. Das Barometer von Johannes Voreigner ist noch da und zeigt auf deutsch „schönes Wetter“ an. Und dann ist da noch die verblichene Plakette von der DGzRS und der Aufkleber vom Liegeplatz 2005 in Kiel-Stickenhörn.

Und Johannes‘ erster Kommentar? „Das Boot war früher irgendwie größer!“ Ich weiß nicht, ob es an der damaligen Kameratechnik liegt oder daran, dass Johannes zehn Jahre älter und jetzt unser Boot gewohnt ist, das aber mit 33 Fuß in der Langfahrtszene auch noch zu den kleinen zählt. Im Gegensatz zu der kleinen „Maverick“ wirkt die neue hingegen wie ein Palast.

Auf den Fotos von damals schien die Kajüte größer zu sein, das ganze Schiff kräftiger. Als ich mich jetzt beim Übersteigen aus dem Dingi an den Wanten festhalte, bin ich fast erschrocken: Sie sind dünner als unser Relingsdraht auf der großen „Maverick“. Es ist für mich einfach unglaublich, dass dieses Boot Johannes über den Atlantik gebracht hat. Ich glaube, der Johannes von heute ist selbst auch ganz perplex …Wir fühlen uns beinahe prätentiös, wie wir fast schon geschniegelt von unserem großen Boot mit seinen technischen Spielereien kommen. Und dann ist da auch noch der Kühlschrank …

Natürlich bringen wir den beiden eine Ausgabe von „Allein über den Atlantik: Mein Abenteuer mit MAVERICK“ mit und sie blättern ganz begeistert durch die Bilder. Darla hat ein wenig Deutsch in der Schule gelernt und kann ein paar Wörter übersetzen. Rabble ist ganz begeistert, Johannes an Bord zu haben und bittet ihn um eine Führung in seinem eigenen Schiff. Wenn andere Segler im Dingi vorbei fahren, ruft er stolz herüber, dass Johannes das Schiff über den Atlantik gebracht hat. Er saugt alle Geschichten rund um „Maverick“ auf wie ein Schwamm. Und dann nennt er das Boot immer wieder „Maverick One“, obwohl sie mittlerweile einen anderen Namen trägt. Rabble hat das Schiff nach dem verstorbenen Eigner Bob Winter getauft, der damit immer auf Reisen gehen wollte, aber nie losgefahren ist. „Winters Dream“, steht in den Schiffspapieren. Aber seit wir nebenan ankern ist das Boot in den Erzählungen wieder „Maverick One“.

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Schöne Momente. Die beiden zücken immer wieder ihre Handys und vergleichen Bilder. Die Genua ist noch die gleiche. Grün, orange, gelb aus den Siebzigern. Das Groß ist auch noch an Bord. Johannes zeigt, wie er seinerzeit eine Halterung für einen Außenborder an das Schiff gebaut hat – eine Lösung, die Rabbel jetzt mit seinem Motorproblem weiterhelfen könnte.

Jedes Mal, wenn man nach dem Aufstehen aus dem Fenster guckt und „Maverick“ ruhig am Anker liegen sieht, macht das Herz einen kleinen Hüpfer. Lange sitzt Johannes jeden Morgen mit einem Kaffee auf unserer Steuerbank und schaut hinüber zu seiner kleinen. Schwelgt in Erinnerungen. „Mit so vielen Jahren Abstand sehe ich das Schiff und mich jetzt vermutlich aus derselben Perspektive, wie die anderen Segler mich damals gesehen haben“, sagt Johannes und ergänzt: „Ich kann es kaum glauben, dass DAS Ding über den Atlantik gesegelt ist.“

Es ist und war sein Schiff – und trotzdem ist es ein anderes. Das Wiedersehen hat die alten Erinnerungen nicht überspielt oder gelöscht. Es hat aber deutlich gemacht, dass sie eben nur Erinnerungen sind. Obwohl sie immer „das“ Boot bleiben wird, mit dem alles angefangen hat, hat sich die Geschichte weiterentwickelt. Die Geschichte von „Maverick“ und die Geschichte von Johannes.

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Johannes hofft in den nächsten Tagen noch ein wenig mit dem mürrischen Motor helfen zu können. Er hat jahrelang keine Pflege bekommen, die Kühlkanäle sind sehr verstopft und er hat auch nicht mehr viel Kompression. Wir sind ganz traurig darüber, dass wir alle Ersatzteile weggegeben haben, schließlich hatte unsere „Maverick“ vor dem Tausch den gleichen Motor wie die kleine.

Sobald das Wetter wieder besser wird, wollen wir weiter nach Key West hüpfen. Wohin die kleine „Maverick“ und Rabble segeln, ist ungewiss. Sicher ist aber, dass es ein gutes Gefühl ist, dass wieder jemand auf „Maverick“ zuhause ist und sie nicht nur in der Marina liegen lässt. Jemand, der fest daran glaubt, dass er viel mit dem Boot machen kann, wenn sie wieder in Schuss ist. Denn schließlich hat sie einmal den Atlantik überquert.

Cati