Spaziergang über die Insel Carriacou

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Liebe Leser,

mein südlichster Wendepunkt auf der letzten Reise war Union Island, ganz im Süden der Inselgruppe namens „St. Vincent and the Grenadines“. Deshalb waren Grenada und die Inseln nördlich davon für mich genauso Neuland wie für Cati. Die nächste Insel ist nun Union Island, wir erreichen meine alte Route.

Vorher haben wir aber vergangenen Montag erstmal in die Hauptstadt St. Georges verholt, um unsere Vorräte aufzustocken. In Le Phare Bleu gab es nämlich nur einen kleinen Tante-Emma-Laden mit dem nötigsten, also Getränken, Brot, Wurst und Käse, aber kaum mehr. In der Hauptstadt hingegen ist die Versorgung sehr gut. Grund genug also, unsere Langfahrtseglerfamilie (die inzwischen auf fünf Yachten angewachsen war) zu verlassen und die Segel zu setzen.

In St. Georges haben wir neben einer holländischen Yacht festgemacht, deren Blog ich schon seit längerer Zeit verfolge. Leon und Frieda sind etwa in unserem Alter und stammen aus Holland. Mit ihrer „Puff“ (die den Beinamen „the magic Dragon“ trägt) sind sie einige Monate vor uns gestartet. Als ich noch im Büro saß, habe ich jede Woche auf ihre neuen Einträge hingefiebert und jedes Bild auf der Route Holland – Spanien aufgesogen. Dann sind wir selbst gestartet und in ihrem Kielwasser gesegelt. Nun haben sich die Kurse der fast gleich großen Yachten ganz zufällig auf Grenada gekreuzt. Wir sind gegen 16 Uhr eingelaufen und kurz nach dem Festmachen hatte Cati schon den Kaffee auf dem Herd. Nach einem Cappuccino an Bord der „Maverick“ („Was ist das eigentlich mit euch Deutschen, dass ihr nachmittags immer einen Kaffee trinken müsst?“ ;-)) waren wir zusammen in einem nahen Fastfood-Imbiss und haben für wenig Geld zusammen ein kleines Potpourri der karibischen Küche gefuttert. Ein bisschen gewöhnungsbedürftig, mit den Händen essen und die vielen Knochenstücke, die vorsichtig aus dem Haufen heraus operiert werden müssen. Überhaupt scheinen die Tiere in der Karibik häufig so wie sie sind im Mixer und dann im Kochtopf zu landen. Aber man gewöhnt sich an alles. Nach dem Essen wurden wir dann noch zu zwei Cocktails auf die holländische Stahlyacht eingeladen und sind anschließend, karibik-typisch, bereits um 22 Uhr in der Koje verschwunden.

Am nächsten Tag waren beide Crews mit ihren Dinghys auf Einkaufstour. Wir haben uns mit den Basics für die vor uns liegenden Wochen versorgt. Eigentlich wollte ich auch noch ein paar Fotos für eine YACHT-Geschichte und einen neuen Blogeintrag ins Internet laden, aber den ganzen Tag über ist die Verbindung immer wieder zusammengebrochen.

Mittwochmittag haben wir dann endlich Abschied von Grenada genommen. Nachdem „Puff“ schon morgens um neun abgelegt hat, sind wir gegen Mittag hinterher getuckert. Zum Segeln war im Lee der Insel leider zu wenig Wind. Eigentlich sollte das Ziel der Etappe die Tyrrel-Bay auf Carriacou sein, aber gegen 15 Uhr haben wir uns dann entschlossen, die unbewohnte Insel Ronde Island anzulaufen, die auf halber Strecke liegt. Der Anker fiel auf etwa fünf Meter Wassertiefe, hinter zwei britischen Yachten. Die erste Nacht vor Anker. Eine Nacht, der noch viele dutzende folgen sollen, denn von nun an soll nur noch geankert werden. Allerdings war es auch sehr rollig, denn gut geschützt ist die Bucht nicht.

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Am nächsten Morgen sind wir dann wieder Ankerauf gegangen und haben die letzten 12 Meilen nach Carriacou zurückgelegt. Wieder ein Meilenstein: Das erste Mal vor Anker in türkisem Wasser. Cati ist gleich hineingesprungen, ich hinterher. Mit Schnorchel und Brille. Der Anker liegt auf vier Meter Tiefe, perfekt in den Sandboden eingegraben. Hier können wir entspannt liegen.

Eigentlich wollten wir am Samstag weiter nach Union Island segeln. Eine Distanz von wieder nur 12 Meilen. Doch Samstags nehmen die Zollbüros und Einwanderungsbehörden hohe Zuschläge fürs Ein- und Ausklarieren. Union Island gehört bereits zur nächsten Inselkette, deshalb müssen wir uns hier ab- und dort anmelden. Nachdem der Außenborder Samstagmittag schon an Bord gewuchtet war, haben wir uns dann also doch zum Bleiben entschlossen. Lieber das Geld sparen und zwei Tage länger hier sein.

Eine gute Gelegenheit, ein bisschen mehr von der Insel sehen und endlich einen Blogeintrag zu senden. Blöderweise ist das Internet hier sehr instabil. Trotz perfektem Empfangs ist keine Bandbreite hinter dem Signal. Das merkt man aber immer erst, wenn die 8 Dollar für 24 Stunden schon bezahlt sind 😉

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Gestern sind wir also mit dem Dinghy an den Strand gefahren und haben uns zu Fuß auf den Weg nach Norden gemacht. Einerseits um das Geld für den Bus zu sparen – andererseits, um Fotomotive zu entdecken, an denen wir ansonsten vorbeigefahren wären. Einige Kilometer Fußmarsch in der Sonne, die die Strapazen aber wert waren. Zuerst haben wir auf halber Strecke den Paradise Beach besucht. Dann sind wir weiter nach Hillsborough gelaufen, die Hauptstadt der Insel.

Etwa 1,5 Kilometer vor der Stadt kam plötzlich ein großer, schwarzer Hund von einem Schrottplatz aus auf uns zugerannt. Ein Streuner, offenbar noch relativ jung und unglaublich neugierig. Durch die Größe waren wir natürlich erstmal ein bisschen eingeschüchtert, vor allem als er Anstalten machte, an mir hochzuspringen. Aber er war keineswegs aggressiv, sondern total aufgeregt, dass da jemand des Weges entlang gelaufen kommt, während alle anderen einfach vorbeifahren. Wir waren da, um mit ihm zu spielen – das war für ihn eine ganz klare Sache. Also lief er immer wieder um uns rum, hüpfte, kläffte, freute sich, wedelte mit dem Schwanz.

Wir haben versucht, ihn zu ignorieren, sind einfach weitergelaufen. Aber das machte ihn aufgeregter. Nun kannte er unseren Weg und rannte fröhlich vor uns her. Neugierig in jede Ecke schauend und andere Hunde wegbellend. Wir schöpften ein wenig Vertrauen in das große Tier – das allerdings auch gleich wieder wich, als er sich einfach ein kleines Schaf am Wegesrand griff, ihm in den Nacken biss uns es in den nächsten Acker pfefferte. Allerdings wohl auch spielerisch und sehr vorsichtig, denn das Schaf stand danach gleich wieder auf, als wäre nichts gewesen. Da fielen mir dann auch die großen, langen, weißen Zähne auf, die schon gefährlich wirkten. Wieder lief „Rambo“ freudig um uns herum, schien es aber besonders auf mich abgesehen zu haben. „Jetzt hast du einen Hund“, lachte Cati. Und tatsächlich, er war nicht mehr loszuwerden. Ein armes Tier eigentlich. An seinen Beinen waren einige schlecht verwachsene Wunden zu erkennen, die er mit seinen jungen Jahren bereits an sich trägt. „Den müssen wir jetzt wohl mitnehmen“, meinte Cati, die schon immer einen Hund haben wollte. Natürlich nicht ganz ernst. Denn schon beim Einklarieren auf Union Island wäre seine Reise ohne Papiere zuende. Außerdem haben wir schon eine Kuh an Bord.

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Aber wie loswerden? Hillsborough lag plötzlich vor der Nase. Zumindest für karibische Verhältnisse eine Großstadt. Der Hund hielt einen Augenblick inne, wartete auf uns. Offenbar war die Stadt für ihn Neuland. Aber wir gingen weiter, also rannte auch er wieder vergnügt los und vor uns her, in jede Ecke schauend, sein neues Revier markierend. „Was hat der eigentlich getrunken? Er markiert schon den dreißigsten Baum!“ staunten wir. Inzwischen hatte „Brutus“ noch mehr Vertrauen gewonnen, kam immer näher und machte erneut Versuche, an mir hoch zu springen. Schaute mich aus treuen Augen an. Wären doch nur die großen Zähne nicht. Ich hätte ihn am liebsten einmal durchgestrubbelt. Aber wir mussten ihn loswerden. „Da ist ein Supermarkt, schnell rein!“ rief ich Cati zu. „Waldi“ blieb am Eingang stehen. Offenbar wusste er, dass er dort nicht hinein durfte. Wir mussten ohnehin noch ein bisschen einkaufen und ließen uns eine Menge Zeit zwischen den fünf Regalen mit ihren 80 verschienenen Waren. Als wir eine Viertelstunde später wieder vor die Tür traten, war der Hund weg. „Geschafft“, flüsterte ich. Und merkte im selben Augenblick, wie mir kaltes Wasser von hinten gegen die Beine flog. „Da ist er wieder“, rief Cati und lachte sich kaputt, „er war kurz im Meer baden!“

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„Struppi“ freute sich mehr denn je uns zu sehen und lief wieder treu und plitschnass neben uns her. Er begleitete uns sogar in unseren nächsten Zufluchtsort, eine örtliche Fastfoodbude. Statt Döner oder Hamburger isst man hier Roti. Karibisch-Indische Teigfladen, gefüllt mir einem Stew aus Kartoffeln, Curry und Fleisch. Extrem billig und lecker, meist aus Holzbaracken oder Straßenständen verkauft. Bei mir war sogar noch ein kleiner mit Käfer eingebacken, ohne Aufpreis. Der Hund folgte bis an den Tresen. „Is that your dog?“ fragte uns die einheimische Dame hinter der Kasse. „No, he followed us inside“, erklärte Cati – worauf die Verkäuferin den Hund kurzerhand aus dem Laden beförderte. Kaum vor der Tür hing er uns aber wieder an den Hacken, folgte bis vor einen Eisenwarenladen und anschließend weiter. Wir waren inzwischen auf dem Rückweg zur Tyrrel Bay.

Plötzlich hielt „Rocky“ (wir hatten uns immer noch auf keinen Namen verständigt) inne, stocksteinernen Blickes. Wie eingefroren. Direkt vor uns, neben einem Gitter, das vor dem Eingang eines mittlerweile geschlossenen Ladens hing. Dahinter saß eine kleine, getigerte Katze, die ebenso eingefroren auf unseren „Blacky“ starrte. Sich wohl bewusst, dass sie hinter dem Gitter in Schutz war. Keiner der beiden rührte sich, als spielten sie ein Spiel, wer wohl zuerst blinzelt. „Das ist die Chance“, rief ich Cati zu. Schnell weiter. Im passenden Augenblick kam einer der kleinen Toyota-Busse, die hier in Linie fahren. 60 PS und 1000 Watt in der Soundanlage. Die neun Sitze sind häufig mit 16 Personen besetzt. „Schnell, rein da“, schob ich Cati vorwärts. Schiebetür auf, schwupps ins Auto, Schiebetür zu. Ich drehte mich um. Unser „Bandit“ war inzwischen 100 Meter hinter uns, noch immer vollkommen vertieft in die Katze. Er hatte unsere Flucht gar nicht mitbekommen. Schnell ließ der kleine Bus die Stadt hinter sich und setzte uns 20 Minuten später in der Tyrrel Bay ab, für 3,50 EC-Dollar. Umgerechnet 1,30 Euro.

Was der Hund wohl dachte, als er sich umgedreht hat und wir weg waren? Wir denken noch oft über ihn nach und ich bin kurz davor, nochmal nach Hillsborough zu laufen und ihn mal richtig durchzuknuddeln. Egal, ob er Flöhe hat. Aber dann wäre er wohl noch schwerer wieder loszuwerden. Und wir müssen morgen weiter. Hinüber nach Union Island und dann die Inselkette hinauf nach Norden. So ist das Fahrtenseglerleben. Freundschaften schließen und wieder aufgeben. Nur mit Hunden hatte ich das noch nie.