Das besondere Boot – „Eyola“

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Wir sind wieder zurück in Clifton Harbour auf Union Island, nicht einmal eine Woche nach unserer ersten Ankunft. Und wir haben viele Mails erhalten. Die Leser sind gespannt, wo wir die vergangenen Tage verbracht haben. Was ist das nun also für ein Boot, das Johannes seit so langer Zeit beschäftigt und das einen Umweg von 100 Seemeilen rechtfertigt, obwohl wir doch eigentlich in den Norden wollen?!

Auf facebook wurde spekuliert, ob es sich vielleicht um „Dove“ handelt, mit der Robin Lee Graham als 16-Jähriger zur Weltumsegelung aufgebrochen ist. Oder aber um die Megayacht „Rising Sun“ von Multi-Milliardär Larry Ellison, Gründer der Firma „Oracle“ und Geldgeber des gleichnamigen America’s-Cup-Teams.

Das Schiff, das Johannes seit 12 Jahren beschäftigt ist jedoch nicht berühmt und eigentlich auch nicht wirklich bekannt. Hier ist seine Geschichte:

Im Jahr 2003 hat der 16-jährige Johannes in der „Bootsbörse“ eine Anzeige entdeckt, die sein Interesse weckte. Eine 70-Fuß Brigantine stand in der Karibik zum Verkauf, gebaut Mitte der 70er Jahre und zwar aus Ferrozement. Das alles zu einem kleinen Preis. Für einen Schüler natürlich trotzdem außerhalb aller Möglichkeiten. Johannes fragte sich, wie ein solches Schiff dort hingekommen sein mag, was es für eine Geschichte in sich trägt und weshalb es jetzt so günstig zum Verkauf steht. Damals war Johannes gerade auf zwei Traditionsschiffen mitgefahren und infiziert worden. Also schrieb er an die angegebene Kontaktadresse eine Email und erkundigte sich nach den Hintergründen und Fotos von der Brigantine. Obwohl Johannes ganz offensichtlich kein potenzieller Käufer sein konnte, antwortete der Eigner in einer sehr netten Mail und sendete ein Foto und Zeichnungen. Auf einer davon stand der Bootsname: „Eyola“. Johannes wurde eingeladen mitzusegeln, sollte er mal in der Gegend sein. In der Schule malte sich Johannes aus, wie er das Schiff kaufen und in der Karibik segeln würde. Wäre er doch nur schon älter …

Fast drei Jahre später, unterwegs auf seiner ersten Reise, segelte Johannes sämtliche Buchten St. Maartens auf der Suche nach dem Schiff ab. Hier, so seine Erinnerung, sollte sie damals gelegen haben. Er hatte das Bild, das ihm das Eignerpaar geschickt hatte, noch genau vor Augen. Aber sie schien verkauft und fortgesegelt zu sein, sie war zumindest nirgendwo zu finden.

Über viele Jahre hinweg beflügelte „Eyola“ Johannes Träume. Das Schiff begleitete ihn. Schon kurz nachdem wir uns kennen gelernt hatten, habe ich das erste Mal von „Eyola“ gehört. Über die Jahre hat er immer wieder mal nach ihr recherchiert, den Sohn des ersten Eigners ausfindig gemacht, herausgefunden, dass sie zwischendurch umgetauft und mit ihr Charter gefahren wurde. Der Verdacht, dass sie umgeriggt wurde, erwies sich lange Zeit später als falsche Fährte. Angeblich sollen sogar Drogen mit dem Schiff geschmuggelt worden sein. Das Schiff selbst aber blieb unauffindbar.

2003

Vor drei Wochen hat Johannes sie dann ganz zufällig auf einer kleinen Dingitour entdeckt. „Ich hab‘ Eyola gefunden!“, sagte er grinsend, als er zurück an Bord kam. „Nein!“, staunte ich fassungslos. Beim Vergleich mit alten Bildern verflog jeglicher Zweifel. Die gleichen Linien, die Rüsteisen an der gleichen Stelle, es war tatsächlich das Schiff von damals. Sie lag an der gleichen Stelle wie auf dem Foto, das ihm das Eignerpaar 2003 zugeschickt hatte. Allerdings musste man schon zweimal hingucken, denn die Zeit ist an ihr nicht spurlos vorüber gegangen und wir konnten vom Dingi aus grüne Pflanzen an Deck erkennen. Anscheindend hatte die Natur schon Besitz ergriffen. Ohnehin befand sie sich in bester Gesellschaft dafür. Rund um sie herum und in der Nachbarbucht lagen etliche Wracks, die auf Tiefe gegangen oder vom Eigner zurück gelassen waren. Eigentlich ein trauriger Anblick. Aber ich konnte in Johannes Gesicht lesen, dass gerade ein Traum für ihn in Erfüllung gegangen war.

2015

Doch an Bord konnten wir niemanden ausmachen. Es schien als wären die Eigner nicht zuhause. Die Zeit drängte, wir wollten noch so viel von der Karibik sehen, waren aber schon so spät dran. Also setzten wir Segel und nahmen Kurs Nord. Doch das Schiff ließ Johannes – wieder einmal – nicht los. Über Kontakte auf Grenada versuchte er den Eigner zu kontaktieren.

Schließlich saßen wir in einem französischen Café in Union Island. Gerade angekommen und einklariert, auf dem Weg zu den Tobago Cays. Das Handy bimmelte. „Ich werd verrückt“, sagte Johannes langsam, ungläubig. „Ich habe gerade eine SMS vom Eigner bekommen.“

Keine 24 Stunden später liefen wir mit geblähten Segeln auf Südkurs. Später würden wir die Strecke noch einmal gegenanbolzen müssen, um zurück nach Union Island zu kommen. Aber das war erstmal egal. Wir mussten zurück nach Grenada. So nah würde Johannes dem Schiff so schnell nicht mehr kommen.

Wieder einen Tag später lernten wir die Eigner kennen. Das erstaunliche jedoch: Wir hatten die wohl eindrücklichste persönliche Begegnung dieser Reise, wobei das Boot sogar eher Nebensache blieb. An allen drei Tagen, die wir auf Grenada ankerten, wurden wir zum Eignerpaar eingeladen. Wir hörten die spannendsten Geschichten, die nur das Leben schreiben kann und lernten zwei Menschen kennen, die viel gesehen und das Träumen niemals verlernt haben. Der Eigner, ein richtiger Seemann, hatte ebenfalls noch die Verkaufsanzeige von 2003 in seinen Akten. Johannes konnte einige Lücken in der Schiffsgeschichte schließen. Im Gegenzug bekam er Geschenke aus den sorgfältigen Archiv, das die beiden angelegt hatten. Der Eigner konnte sich noch sehr gut an die erste Email von Johannes erinnern. Er hat gesagt, es habe ihn berührt, wie ein so junger Bursche nach dem Boot fragt. Zum Abschied schenkten uns die beiden alte Segelbücher für Johannes, der dafür eine Leidenschaft hat, und mir einen Holzfisch von einem alten Segler und einen Aloekaktus, der auf der Brigantine herangezogen wurde. Im Gemüsegarten, dessen Grün uns vom Dingi den Eindruck vermittelt hatte, als sei das Schiff sich selbst überlassen worden. Wir konnten uns mit Vinho Verde aus Portugal bedanken, der noch seit Viana do Castelo an Bord lagert. Eine Geste, die die Augen des alten Seemanns zum Leuchten brachten, hatte er doch vor langer Zeit mal in Portugal gelebt.

Und so hat uns die alte Brigantine zu der schönsten Geschichte dieser Reise geführt. Wir haben nie „Eyolas“ Deck betreten, weder Fotos noch Videos gemacht. Diese Begegnung ist einfach nur für uns. Und wohl in vier Herzen abgespeichert.

Beim Anblick von Johannes und dem Eigner habe ich gesehen, dass zwar die Suche, aber noch lange nicht die Geschichte zuende ist.