„Lassen Sie uns durch, wir wollen zum Arzt“

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Liebe Leser,

irgendwie ist gerade der Wurm drin. Nachdem ich vergangene Woche mit einer Grippe flachgelegen habe, muss ich wohl auch Johannes angesteckt haben, den es noch etwas heftiger erwischt hat. Als er nun wieder einigermaßen auf die Beine kam, haben wir uns Hoffnung auf baldiges Weitersegeln gemacht. Dann gingen die Pleiten weiter: Ich habe Johannes die Haare geschnitten, mich aber ein bisschen mit den Höhen über den Ohren vertan. Also wollte ich schnell nochmal den Rasierer ansetzen, ein bisschen nachmähen, hatte aber nicht mitbekommen, dass Johannes ihn verstellt hatte: Von 12 auf 3 (drei!) Millimeter. Deshalb hat Johannes nun über dem rechten Ohr ein Fenster in der Frisur – und wird die nächsten drei Wochen ein Cap tragen müssen, bis die Haare wieder nachgewachsen sind 😉

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Kaum ist Johannes nun also wieder halbwegs gesund, bin ich schon wieder dahin. Rückenschmerzen und ein ganz empfindliches Gefühl auf der Haut. Fühlt man sich in Deutschland etwas schlapp, kränklich oder irgendwie nicht wirklich gesund, stellt sich die Frage, ob man einen Arzt aufsucht oder nicht. Je nach Schweregrad schleppt man sich auch gerne bis zum nächsten Tag oder in die nächste Woche. Im Notfall ist ja schnelle Hilfe da.

Spätestens vorgestern Abend zeichnet sich bei uns jedoch ab, dass ein Arztbesuch wohl doch ganz gut wäre, denn ich habe plötzlich viele rote Pusteln an Bauch und Rücken, die zunehmend schmerzen. Die Ferndiagnose von Johannes‘ Hausarzt in Wolfsburg bestätigt unseren Verdacht: Offenbar habe ich die Grippe nicht richtig auskuriert, mir zu schnell zu viel Stress und Sonne zugemutet – und nun eine Gürtelrose bekommen. Ärztliche Hilfe ist unbedingt nötig. Doch hier ist es nicht so einfach. Gibt es auf dieser Insel überhaupt einen Arzt? Laut Revierunterlagen ist nur eine Schwester anwesend, einmal die Woche kommt ein Arzt per Flugzeug vorbei. Doch an welchem Tag er kommt, steht dort nicht. Wo ist denn dann die nächste richtige Klinik?

Eigentlich wollten wir, nachdem wir uns ganz von unseren Erkältungen erholt hatten, nach Eleuthera, einer größeren Insel im Osten. Dort gibt es viele Ruinen für Johannes und einen pinken Sandstrand für Cati. Weil Eleuthera touristisch sehr erschlossen ist, gibt es auf der Insel auch mehrere Community-Clinics. Das macht die Insel nun noch interessanter. „Oha, die haben aber alle am Wochenende geschlossen“, bringt Johannes in Erfahrung, „aber vielleicht lässt sich trotzdem irgendein Medizinmann finden.“ Also Eleuthera.

„Wie weit ist es denn eigentlich bis dahin?“, will ich wissen. 76 Seemeilen, eine Strecke, die für uns bei Tageslicht nicht zu machen ist. „Außerdem zieht da gerade schweres Wetter auf … Entweder am Freitag gegenan oder am Sonntag bei 5 bis 6 Beaufort. Dazwischen zieht ein Sturm durch. Wir sollten sogar eher in eine Marina verholen.“ Näher und auch segeltechnisch besser liegt Nassau auf New Providence. Nach Nassau wollen wir dieses Mal aber nun wirklich nicht. Zu teuer, zu kriminell und dazu zu wenig Reizvolles. Aber in Nassau gibt es wirklich alles und mit Sicherheit auch einen Arzt, der am Wochenende Dienst hat.

Ein bisschen Bange ist uns vor den Kosten. Erst vor zwei Wochen sind wir für einen Vorsorgecheck (chronische Krankheit) auf Grand Bahama im Krankenhaus gewesen und ganz schön in die Knie gegangen, als dafür ein Viertel unseres Monatsbudgets fällig wurde. Und uns dabei offenbar auch noch die Grippe aufgehalst. Wir rechnen mit dem Schlimmsten.

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Also verholen wir gestern, am Freitag, mit dem auffrischenden Wind vom Ankerplatz in die Marina Great Harbour Cay, um in der kleinen Klinik vorbeizuschauen. Das Haus ist am anderen Ende der Lagune und wir strampeln eine ganze Weile auf den Leihfahrrädern, bis wir das unscheinbare Gebäude erreichen. Im gleichen Haus befinden sich auch die Post und eine Versicherung.

Der Arzt ist zufällig anwesend, wie man uns schon in der Marina gesagt hat. Und glücklicherweise konnte man uns dort auch mit unserer zweiten großen Sorge helfen, mit Bargeld. Denn die meisten kleinen Inseln sind reine Cash-Inseln. Wir hatten nur noch 50 Dollar in der Tasche und der nächste Geldautomat steht, na klar, in Nassau. 60 Meilen weg. Im Marinabüro wurde deshalb unsere Kreditkarte belastet und uns ein wenig Bargeld aus der Kasse ausgezahlt.

Nach fünf Minuten Wartezeit komme ich sofort ins Wartezimmer und werde von einem netten Asiaten behandelt. Und es bestätigt sich, was wir schon geahnt haben: Ich habe „Shingles“, bekomme dagegen eine braune Tüte mit Medikamenten – witzigerweise aus „good old Germany“. Behandlungskosten: 10 Dollar. Endlich mal etwas, das günstig ist. Die Medikamente kosten 43 Dollar.

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„Shingles“, ich lache mich den ganzen Weg zurück zum Boot über diesen lustigen Begriff kaputt. „Shingle Bells, Shingle Bells, Shingle all the way“, „Shingelingeling, hier kommt der Eiermann“ oder „Shing-, Shing-, Shingis Khan“. Aber das ist wohl vor allem die Erleichterung. Ich bin unheimlich dankbar, dass wir hier alles Nötige bekommen haben und nicht den langen Weg über offene See auf uns nehmen mussten.

Also werden wir hier wohl oder übel noch ein paar Tage liegen bleiben. Abwarten und Kaffee trinken. Gestern und heute zieht hier gerade ein Wintersturm über die Insel, mit 8 bis 9 Beaufort. Morgen werden wir dann wohl wieder vor Anker verholen und abwarten, bis sich die Blasen zurückbilden. Mal sehen, ob wir dann noch irgendwann was vom Paradies mitkriegen …

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