Mit 18 Jahren über den Atlantik

Auf unserer Atlantikrunde haben wir uns gelegentlich gefragt, wie es wohl wäre, wenn der 19-jährige Johannes mit seiner „Maverick 1“ auf den 30-jährigen Johannes mit seiner „Maverick too“ treffen würde. Wahrscheinlich würde er nur staunen, was für ein Luxus unsere 33 Fuß beherbergen. Wie toll das Schiff ausgestattet ist. Dass Bier bei uns an Bord kein Heißgetränk ist, weil wir einen kleinen Kühlschrank haben. Ich stellte mir vor, wie wir den jungen Johannes jeden Abend zum Essen einladen würden, um all die Gastfreundschaft anderer Yachties weiterzugeben, die ich damals erlebt habe.

Und dann lag im April 2017 auf den Bahamas plötzlich Christoph neben uns. Mit einer winzigen Hurley 22.

Genau wie ich damals war er mit seinem bei Ebay gekauften Boot direkt nach dem Abi gestartet. Allerdings mit dem Unterschied, dass er nur 12 Jahre die Schulbank drücken musste und deshalb schon ein Jahr jünger starten konnte, mit 18 Jahren. Außerdem segelte er von Deutschland aus los und hatte damit in den Bahamas bereits 1000 Meilen mehr auf der Logge.

Ich hatte irgendwann von ihm gehört und seine Reise verfolgt. Einen Blog hatte er zwar nicht, dafür aber einen Satellitentracker. Irgendwie kamen wir dann auch über Facebook in Kontakt, als er auf den Kanaren lag. Dann nach einer Pause wieder in Martinique. Er hatte keine festen Pläne, also schlug ich ihm vor auf die Bahamas zu kommen. Dort hatte es mir damals am besten gefallen. Und eines morgens lag er dann tatsächlich bei uns in der Marina.

Fast eine ganze Woche blieb er bei uns in Nassau. Wir ankerten hinter Rose Island, plauderten übers Segeln und das Leben, fuhren mit einem Surfbrett Wasserski hinter unserem Dingi, … Er erzählte uns über seine bisherige Reise. Wie er auf La Gomera die Backpackerin Anna (ebenfalls 19) kennengelernt hatte und mit ihr über den Atlantik nach Martinique gesegelt war. Doch Anna wollte nach Mittelamerika und so war Christoph nun wieder als Einhandsegler unterwegs. Die Einsamkeit machte ihm ein wenig zu schaffen, das merkte ich. Wahrscheinlich, weil es mir damals ähnlich ging. Es war wirklich spannend, mich selbst von außen zu sehen. Sehr viele Parallelen. Nur, dass Christophs Boot eine ganze Ecke kleiner ist. Und seine Reise doppelt so lang!

Denn nach einer Woche erzählte er, dass Anna ihm versprochen hat in England wieder an Bord zu kommen. Und mit einem Mal hatte er keine Ruhe mehr. Statt mit uns in die wunderbaren Inseln der Exumas zu segeln, setzte er die Segel mit Kurs auf die Azoren. Kurz darauf schrieb ich ein Porträt für die YACHT, das im Sommer 2017 erschien. Ein Videointerview mit Christoph von damals habe ich hier zusammengeschnitten:

In Düsseldorf hatten wir nun nach fast zwei Jahren die Chance Christoph wiederzusehen und auch endlich seine Anna kennenzulernen. Mittlerweile haben die beiden ein Buch über die Reise geschrieben, das gerade vor ein paar Wochen erschienen ist. Der Titel: „Per Anhalter über den Atlantik: Raus aus der Schule, rein ins Abenteuer„.

Die beiden waren von der Messe eingeladen von ihrer Reise zu berichten. An den Abenden saßen wir zusammen beim Bier und plauderten über „alte Zeiten“. Die beiden beeindruckten uns sehr. Nicht nur, dass sie nun fast zwei Jahre nach der Reise eine umständliche Fernbeziehung durchhalten und sich nur alle paar Wochen sehen – Anna studiert Psychologie in Süddeutschland, Christoph macht eine Bootsbauerlehre in Hamburg. Vor allem, dass sie ihre Unbeschwertheit mit in den Alltag genommen haben.

Auch, wenn es nicht immer leicht ist: „Eigentlich will ich nur wieder los“, erzählt uns Christoph auf der Heimfahrt in den Norden. Wir hatten noch ein freies Plätzchen im Auto. „Aber im Moment sieht es so finster aus. Und ich fühle mich immer noch nicht angekommen.“ Auch dieses Gefühl kenne ich. Ich saß damals im Hörsaal mit 300 anderen Studenten … Aber mein Kopf war immer noch auf dem Ozean …

„Im Moment pendele ich jeden Tag mit dem Roller nach Finkenwerder, bei Eis und Schnee. Bin schon dreimal auf die Schnauze gefallen“, erzählt er. Das Ausbildungsgehalt ist knapp. Und noch immer liegen drei Jahre vor ihm. „Ich würde am liebsten ein etwas größeres Schiff kaufen und nach der Ausbildung wieder mit Anna los. Als Bootsbauer finde ich vielleicht auch unterwegs gelegentlich Arbeit.“ Aber ein neues Schiff liegt derzeit in weiter Ferne. „Vielleicht mache ich die Hurley auch wieder fit“, überlegt er. „Obwohl das Schiff nach der langen Reise ganz schön am Ende ist. Und Anna möchte gern ein abgeschlossenes Klo. Mal sehen, wie ich das da reinbekomme.“

Die große Sehnsucht. Das nicht greifbar scheinende Ziel. Ich erinnere mich gut. Die lange Hungerstrecke, bis die Segel sich wieder am Mast entfalten. Vier Jahre rechnete auch ich damals. Doch es wurden bei mir letztlich neun.

„Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde“, habe ich damals gelesen (Prediger 3). Und der Text hat mir durch all die Jahre geholfen.

Auf meine Situation umgemünzt: „Segeln hat seine Zeit. Geldverdienen hat seine Zeit.“ Jetzt liegt zwar eine Hungerstrecke an, aber es wird auch wieder besser. Die Zeiten ändern sich. Als ich das kapiert hatte, war die Ungeduld nicht mehr so groß und ich konnte mich frohen Mutes auf die Zukunft freuen. Neue Reisen in tiefem Wasser.

Und, tatsächlich, nach der Zeit des Schaffens kam dann endlich auch wieder die Zeit des Reisens.

Trotzdem war der Weg dorthin lang und hart. Wenig Einkommen, viele Nebenjobs. Ich war über jede Gelegenheit froh, etwas Geld verdienen zu können und dem Abfahrtstag etwas näher zu kommen.

Deshalb mein Appell: Wenn ihr den beiden helfen wollt, etwas früher wieder Segel zu setzen, dann kauft ihr Buch „Per Anhalter über den Atlantik: Raus aus der Schule, rein ins Abenteuer„. Eine spannende Geschichte. Sie liest sich wirklich gut. Oder ihr ladet die beiden sogar zu einem Vortragsabend in euern Verein ein? Den Kontakt leite ich gern weiter.

Johannes