Bermuda – Azoren: Dritter Tag auf See

 

Wir haben eine anstrengende Nacht hinter uns. Dabei fing es so herrlich an: Achterlicher Wind von zehn Knoten schob uns unter Parasailor (125 qm) in die Nacht hinein. Nach den stockdunklen Nächten der Etappe nach Bermuda ist nun auch der Mond wieder jede Nacht bei uns und erleuchtet die See. Außerdem ist es wieder ein paar Grad wärmer geworden und wir konnten aus vier Schichten Klamotten nach Zwiebelmanier nun wieder auf drei Schichten ausreffen. Jens und ich hatten wieder die erste Wache von 22 Uhr bis 1 Uhr und alles war ruhig. Genüsslich saßen wir unter dem Sternenhimmel, schlürften eine heisse Brühe und hatten nicht viel zu tun außer dem Autopiloten beim Steuern zuzusehen.
Wachwechsel war um 1 Uhr morgens und wir konnten in die Koje.

Gut eineinhalb Stunden später werde ich wach, weil das Schiff beim herunterfahren von den Wellenbergen ungewöhnlich stark am schlingern ist. Auf meinem Handy in der Koje schaue ich gerade per Wlan auf dem Plotter nach, ob sich Kurs und Speed irgendwie verändert haben, da geht auch schon meine Tür auf. „Der Wind hat ordentlich zugenommen“, sagt Sammy, “ ich glaube wir müssen den Parasailor wegnehmen.“
Höchste Zeit, denn der Windmesser zeigt schon über 20 Knoten. Ölzeug und Schwimmweste an und raus. Das Problem bei dem großen Segel ist jedoch, dass wenn erstmal der Zeitpunkt verpasst ist die Tragfläche derart viel Auftrieb bekommt, dass sich der Bergeschlauch kaum noch über das Segel ziehen lässt. Die Schoten in Luv auszuklinken geht auch nicht so gut, denn dann klappt er nach Lee und fängt dort an zu schlagen, weil er nicht (wie beim Spinnaker) im Windschatten des Groß steht. Man kann natürlich die Genua ausrollen, aber dafür fehlt uns meist eine Winsch, denn darauf liegen die Niederholer und Schoten. „Los, wir probieren es erstmal so“, schlage ich im Scheinwerferlicht auf dem Vordeck vor und beginne an der Bergeleine zu ziehen. Keine Chance, der Trichter kommt nicht runter. Plötzlich greift Sammy mit an und ich bin überrascht, wie kräftig er ist. Wie der grüne Hulk steht er dort auf dem Vorschiff, brüllt und reißt dabei gleichzeitig an der Leine, bis das Segel in der Tüte ist. Ich komme kaum mit dem Ziehen hinterher. Bin beeindruckt. „Geht doch“. Beim Anbinden des Falls auf dem Gennakerrüssel stütze ich mich auf dem Wasserstag ab und tauche kurz komplett mit dem Bein in die See. Atlantiktaufe. Schiete, hätte ich mir mal auch Gummistiefel angezogen.
Da wir nicht wissen, wie stark der Wind zunimmt, drehen wir erstmal nur die Genua aus und laufen vor dem Wind ab. Ich kann noch eine Stunde in die Koje bis meine Wache beginnt, aber finde noch voller Adrenalin durch das nächtliche Segelmanöver kaum Schlaf.

Kurz nach 5 Uhr morgens dämmert es endlich, der Wind hat etwas abgeflaut und auf Südst gedreht. Zeit für ein neues Segelmanöver. Mit lautem Geklöter bringe ich die Schot für den Gennaker (95 qm) übers Seitendeck aus, spanne die Endlosreffleine und montiere den Roller auf dem Rüssel. Dann hoch das Segel. Etwa 20 Minuten dauert es, bis alles installiert ist und Jens das Segel auskurbelt , während ich auf dem Bug des Backbordrumpfs sitze und die Reffleine Bremse. Dabei knallt wieder eine Welle über mich. Augenblicklich nimmt das Schiff Fahrt auf und segelt mit Rauschefahrt in den Sonnenaufgang. Ein herrliches Bild. Jens schießt Fotos. Eine gute Stunde später sitzen wir bereits mit einem Kaffee im Cockpit, als Michi und Sammy zur Wache erscheinen. „Wann habt ihr denn den Gennaker gesetzt?“ staunen sie. Haben sie komplett verschlafen. Scheint, als wären wir alle ein bisschen erschöpft.

Dafür verhilft uns der Wind um 16 Knoten von schräg Achtern zu toller Rauschefahrt bis 9 Knoten. Herrlich. Der Wind dreht langsam weiter und so werden wir wohl gegen Nachmittag wieder auf konventielle Besegelung reduzieren und Kurs Ost gehen. Blöd, dass die Wellen dann wieder von der Seite kommen und gegen den Leerumpf knallen. Aber dafür geht es gut voran. Nur noch 1545 Seemeilen bis Horta.